Full text: Gesetze und Verordnungen über Elementarunterricht und Fortbildungsunterricht im Großherzogtum Baden.

722 X. Fortbildungsunterricht. 
Nötigung der in dieselbe freiwillig eingetretenen Schüler zum regelmäßigen Schul- 
besuch wenigstens mittelbar in der Weise geübt werden, daß der lässige oder sonst 
ungehorsame Schüler aus der Anstalt ausgewiesen wird und damit sofort dem gesetzlichen 
Zwang zum Besuche der — mutmaßlich noch weniger willkommenen — all- 
agemeinen Fortbildungsschule verfällt (§5 2, Absatz 2 und 3 der Verordnung vom 
21. Februar 1891). 
VI. Die Verordnung vom 21. Februar 1891 ging (§ 2 Absatz 4) von der 
Anschauung auns, daß auf die nach Maßgabe dieser Verordunng eingerichteten 
„gewerblichen Fortbildungsschulen“ die Bestimmungen im dritten Absatz des § 120 
der deutschen Gewerbeordnung anwendbar seien, lantend (soweit hierher bezüglich): 
Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren 
Kommunalverbandes (§ 142) kann für männliche Arbeiter unter achtzehn 
Jahren sowie für weibliche llandlungsgebilken und Lehrlinge unter 
achtzelhn Jahren die Verpflichtung zum Besnche einer Fortbildungsschule 
soweit diese Verpflichtung nieht landesgesctzlich be- 
steht, hegründet werden. 
Dieselben reichsgesetzlichen Bestimmungen wurden, wie bereits oben (S. 720) 
bemerkt, auch auf die „Gewerbeschulen“, deren Besuch durch das (bad.) Gesetz 
vom 18. Febrnar 1874 (§ 1 Absatz 2) als stellvertretend für den Besuch der (all- 
gemeinen) Fortbildungsschule anerkannt ist, seitens der Schul= und der Verwaltungs- 
behörden in Anwendung gebracht. Im Mai 1897 ist indessen ein — der Anfechtung 
in höherer Instanz nicht unterliegendes — Urteil des badischen Oberlandesgerichts 
ergangen, welches den Rechtsbestand ortsstatutarischer Bestimmungen nach § 120 
Abs. 3 der Gew.O. insoweit verneinte, als dieselben auch Personen im fortbildungs- 
schulpflichtigen Alter dem Gewerbeschulzwang unterwarfen. Nach den Entscheidungs- 
gründen ging das Gericht dabei von folgenden Erwägungen aus: 
„Der § 120 Absatz 3 Gewerbeordnung könne und wolle nur insoweit gelten, 
als die Materie des Fortbild ungsschulzwanges nicht landesgesetzlich geregelt sei; dies 
sei aber in Baden durch das Gesetz vom 18. Februar 1874 geschehen hinsichtlich der 
jugendlichen Personen im Alter bis zum vollendeten 16. Lebensjahre; für diese könne 
ein weiterer Schulzwang durch Statut aufgrund des § 120 Gewerbeordunng nicht 
eingeführt werden; vielmehr könne deren Verpflichtung zum Besuche gewerblichen 
Unterrichts nur im Wege cines Landesgesetzes erfolgen, welches den durch 
das Fortbildungsschulgesetz von 1874 geschaffenen Nechtszustand entsprechend modifiziere; 
ein solches Landesgesetz bestehe aber zur Zeit nicht, da das badische Gewerbeschul- 
wesen nur im Wege der Verordunng geregelt sei; die Wirksamkeit des § 120 Ge- 
werbeordnung erstrecke sich daher für das Großherzogtum nur auf gewerbliche Ar- 
beiter vom vollendeten 16. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre." 
Bei der in Vorstehendem dargelegten Auffassung scheint nicht beachtet zu sein, 
daß die Anwendung der Bestimmung in § 120 Abs. 3 der Gew.O. nicht davon 
abhängt, ob überhaupt „die Materie des Fortbildungsschulzwanges landesgesetzlich 
geregelt“ ist oder nicht, sondern lediglich davon, daß die durch Gemeindestatut 
zu begründende Verpflichtung „pnicht landesgesetzlich besteht“. Da zu den 
Angelegenheiten, welche der Gesetzgebung des Reiches unterliegen (Art. 4 der Reichs- 
verfassung), das Unterrichtswesen nicht gehört, hat zweifellos der Einzelstaat darüber 
Verfügung zu treffen, ob in seinem Gebiet „Fortbildungsunterricht"“ erteilt werden 
soll, welcherlei Anstalten für diesen Zweck bestehen sollen, auch hinsichtlich welcher 
dieser Unterrichtsanstalten ein Zwang zum Besuche derselben auszuüben sei. Der
	        
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