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Kultur= und Staatsleben.
§ 15. a) Die Grundlage für die höhere Kultur in den Ländern
östlich der Saale wurde erst durch die Germanisierung geschaffen.
Die ersten deutschen Ansiedlungen waren die Burgen (s. § 5), die
Kirchen und die anfangs spärlichen Klöster. Erst als der Grund
und Boden durch Schenkung oder Verleihung von seiten des Reichs
oder der Markgrafen mehr und mehr an Bistümer, Klöster und
Vasallen überging, begannen diese planmäßig deutsche Bauern aus
Thüringen und Franken, Sachsen und Flandern anzusiedeln. Sie
traten in geschlossenen Gruppen unter Führung eines Unternehmers
(locator) auf und erhielten vom Grundherrn kraft eines Vertrages
entweder einen Teil einer altwendischen Dorfflur, wo sie daun ein
deutsches Dorf mit wendischem Namen anlegten (Deutsch-Luppa neben
Wendisch-Luppa), oder sie erbauten ein solches deutschen Namens auf
urbar gemachtem Wald= oder Sumpfboden. In beiden Fällen wurden
die Bauernhöse in langer, unregelmäßiger Doppelreihe frei neben-
einander gesetzt und das Ackerland nach fränkischen oder flämischen
Hufen (langen, schmalen, von den Höfen aus nach der Flurgrenze
parallel laufenden Streifen) aufgeteilt.? Die Bauern besaßen ihre
Hufen gegen niedrigen Erbzins an den Grundherrn als freie Leute.
Die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizei übte ein Erbschulze, auf
dessen Gut (Erblehngericht) zugleich die Schauk= und Schlachtgerechtig-
keit ruhte (daher der fslawische Name Kretscham, Wirtshaus). Erst
seit etwa 1200 entstanden auch deutsche Städte meist neben einem
wendischen Dorfe, dessen Name dann auf die Stadt überging, in
übereinstimmender, regelmäßiger Anlage (großer viereckiger Markt
mit dem Rathause, daneben die Hauptkirche mit dem Friedhofe, recht-
winklig sich kreuzende Gassen, das Ganze von einer Mauer im Eirund
eingeschlossen). "
b) Der Gang der Besiedlung folgte zunächst den großen
alten Straßen, der „hohen Straße“ von der Saale über Leipzig und
die Elbe nach Polen, der Straße von Franken am Erzgebirge hin
nach der Elbe, und der „Reichsstraße“ von Franken nach Leipzig.
Zuerst wurde das von Slawen dünn besetzte Fachland besiedelt; in
das waldbedeckte, unbewohnte Gebirge drangen die deutschen Ansiedler
erst seit der Mitte des 12. Ihrdts. vor, besonders gelockt durch die
Entdeckung seines Silberreichtums. So erwuchs im Niederlande
eine gemischte deutsch-slawische, im Gebirge eine rein deutsche
Bevölkerung. Im Westen entstand sehr früh an der Kreuzung
zweier Straßen eine deutsche Ortschaft neben dem wendischen Fischer-
dorfe Lipzk (Leipzig). In der Nähe siedelte um 1100 Wieprecht
von Groitzsch neben seinem Benediktinerkloster Pegau flämische Kolo-
* Eine Huse umfaßte etwa 30 Morgen, und die Dorfflur enthielt ge-
wöhnlich 30—40 Hufen (Bauerngüter). Ein Morgen = 0,25 hu.