486 Buch VI. Das Recht der juristischen Personen.
gestern in Frage ziehn. Von dieser Art skeptischer Kritik, obschon sie erkenntnistheoretisch
wohl gerechtfertigt ist, hat der Jurist für seine Zwecke keinen Vorteil zu erwarten. 2. So
bleibt nur die Frage übrig, ob etwa der Jurist den an sich realen Anstalten, um sie zu
juristischen Personen, zu Trägern von Rechten zu machen, irgendeine Eigenschaft andichten
muß, die sie in Wahrheit nicht besitzen. Auch diese Frage ist zu verneinen." Daß man sie
je bejaht hat, war die Folge des Satzes, daß Träger von Rechten eigentlich nur der Mensch
sein könne und deshalb den Anstalten, um ihnen Rechte zu verleihn, menschliche Eigen-
schaften fiktiv beigelegt werden müßten. Aber wie kommt man zu diesem Satz? Etwa, weil
nur der Mensch kraft seiner Willens= und Handlungsfähigkeit mit seinen Rechten etwas be-
ginnen kann? Nun, selbst zugegeben, daß die Anstalten willens= und handlungsunfähig
seien, jedenfalls sind sie in dieser Beziehung nicht schlimmer daran als Kinder; und ist etwa.
die Persönlichkeit eines Kindes eine bloße Fiktion? Oder beruht der Satz, daß eigentlich nur
der Mensch Träger von Rechten sein könne, darauf, daß alles Recht nur dem Menschen zu-
nutz sein soll? Dann ist zu erwidern, daß es ein allbekanntes Mittel juristischer Technik
ist, den Träger eines Rechts als bloßen Fiduziar von dem, der den Genuß des Rechts haben
soll, zu unterscheiden.““ Man mag vielleicht die Einsetzung solcher Fiduziare als Künstelei
anfechten; aber daß der Fiduziar bloß fingiert werde, läßt sich doch kaum behaupten. II. Die
Genossenschaftstheorie, von Beseler begründet, jetzt namentlich von Gierke vertreten, besagt:
„Den Kern der Genossenschaftstheorie bildet die von ihr dem Phantom der persona ücta ent-
gegengestellte Auffassung der Körperschaft als realer Gesamtperson“ 5; diese Gesamtperson
hat ein Gemeinbewußtsein, einen Gemeinwillen; es „besteht eine Organisation, vermöge deren
menschliche Kräfte dauernd in den Dienst eines sozialen Zwecks gestellt sind; vereint bringen
sie Willensäußerungen und Wirkungen hervor; dafür bilden die Individualwillen der am
Webstuhl der Organisation sitzenden Menschen nur Elemente". Ich glaube, daß meine oben
dargelegte Auffassung sich von der Genossenschaftstheorie mehr im Ausdruck unterscheidet als
in der Sache. Es scheint mir aber nicht ersprießlich, die Analogie zwischen physischer und
juristischer Person so scharf zu betonen, wie dies Gierke tut. Denn man kann zu den von
Gierke festgestellten Ergebnissen auch ohne jene Analogie gelangen; juristisch ist sie also ent-
behrlich. Um der Mißverständnisse willen, die sie bei Freund und Feind hervorrufen kann,
läßt man sie besser ganz auf sich beruhn. III. Die Theorie von Brinz (an der in Ansehung
der Stiftungen Seckel! noch jetzt festhält) erkllärt das Vermögen der juristischen Person für
subjektlos; lediglich, um einem bestimmten Zweck zu dienen, werde das Vermögen vom Gesetz
in gleicher Art zusammengehalten, wie wenn es einem bestimmten Subjekt gehöre: es sei
ein „Zweckvermögen“. Diese Ansicht sieht gewaltsam darüber hinweg, daß ein Subjekt des
Zweckvermögens in Wahrheit vorhanden ist, nämlich die organisierte Anstalt. Es fehlt jeder
Grund, die Anstalt nicht als Subjekt des Vermögens anzuerkennen. Mit dem gleichen
Recht könnte man auch sagen, das Vermögen des physischen Menschen sei herrenlos und
werde nur durch den Zweck zusammengehalten, dem dieser Mensch auf Erden dient."
3. Es gibt zahlreiche Arten von juristischen Personen.
a) Wir unterscheiden zunächst juristische Personen des Privat-
rechts und solche des öffentlichen Rechts.
b) Unter den juristischen Personen des Privatrechts unterscheiden wir weiter
rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Stiftungen.
a) Für den rechtsfähigen Verein ist charakteristisch, erstlich daß er —
4) Landsberg S. 108.
4a) Regelsberger 1 S. 299; s. auch oben § 23 I.
5) Gierke, Genossenschaftstheorie (87) S. 5.
6) Regelsberger 1 S. 293.
7) Seckel, Gestaltungsrechte, in der Berl. Festgabe für Koch (03) S. 206. Siehe auch
Schwartz in der oben S. 484 genannten Schrift.
8) Vgl. Landsberg S. 108; Leonhard S. 103.