Modell 71 und 100 Kisten
Modell 88 bemäshtigt hatten.
Gegen 9 Uhr abends brachten die Woermannschen
Faktoristen Hesse, Plaensdorff und Stegemann
sowie der englische Faktorist Gibney die Pflege-
schwester Margarethe und den in Hospitalbehand-
lung befindlichen Faktoristen der Firma Randad u.
Stein Namens Vanselow zu uns und stellten sich
mir zur Verfügung. Diese Herren hatten von
unserer mißlichen Lage gehört, waren unter Führung
des Kaufmanns Hesse bis zum Krankenhaus gefahren,
hatten von dort die Schwester Emma und die
Kranken (Polizeimeister Wiazowski, Unteroffizier
Steinecke, Gärtner Walter und Kaibauer Toms)
per Boot auf S. M. S. „Nachtigal“ geschickt und
dann aus der slark beschossenen Doktorwohnung
Schwester Margarethe und den in Hospitalbehand-
lung befindlichen Faktoristen Van selow herausgeholt.
Zu dieser tapferen That hat Herr Hesse die
Initiative gegeben.
Kaum hatten diese Personen die Besatzung des
Gouverneurshauses verstärkt, als die Rebellen aus
Geschützen und Gewehren das Gouverneurshaus
unter lebhaftes Feuer zu nehmen begannen und
mehrere Male versuchten, das Leßtere zu stürmen.
Glücklicherweise hatten zwei von mir nach dem
Gorwernementsdampfer „Soden“ gesandte Krujungen
kurz vorher die auf demselben befindlichen zwei Kisten
Patronen Modell 71 mir überbracht, so daß es gelang,
die Angreifer zurückzuschlagen. Bei diesen Angriffen
wurde auf unserer Seile der treu gebliebene Polizei-
soldat Jakai erschossen und der Krankenwärter
Siepert am Oberschenkel vermittelst zweier Kugeln
Modell 88 leicht verwundet. Schwester Margarethe
verband die Wunden mit großer Kaltblütigkeit, nach-
dem sie aus meinem Bettlaken sich das nöthige Ver-
bandmaterial geschaffen hatte.
Als das seindliche Feuer, namentlich aus den
Geschützen, immer stärker wurde, begannen der Gou-
vernementsdampfer „Soden“ und S. M. S. „Nach-
tigal“ scharf zu schießen. Hierdurch wurde wenig-
stens für eine Weile das feindliche Geschützfeuer vom
Gouverneurshause abgelenkt.
Um 2 Uhr nachts und 5 Uhr morgens hatten
wir noch zwei Hauptangriffe zurückzuschlagen.
Am 16. v. Mts. zwischen 5 und 8 Uhr früh
trat in der Beschießung des Gonverneurshauses eine
Ruhepause ein, während welcher die Kaufleute Hesse,
Stegemann, Plaensdorf, Vanselow und Gibney
nach ihren Faktoreien zurückkehrten, und welche wir be-
nutten, um vom Dache des Gonverneurshauses nach
den Feinden Umschau zu halten. Hierbei erblickten
wir auf der Piazza des dem Gouverneurshause
gegenüber liegenden Verwaltungsgebäudes die Be-
amten Kassenverwalter Hering, Dr. Vallentin,
Postsekretär Bieberstein und Ingenieur Drees.
Dieselben kamen auf meine Aufforderung zu uns
herüber und berichteten, daß sie am Abend vorher
durch Schüsse der Dahomes aus der ersten Beamten-
à 600 Patronen
90
messe vertrieben seien. Assessor Riebow sei in dem
Messehaus von einem Schusse in die Brust getroffen
und bald darauf, wie sie von ihrem Steward er-
fahren hätten, seiner Verwundung erlegen. Meine
Absicht, sofort die Leiche zu sichern, konnte nicht aus-
gesührt werden, da noch vor Beendigung des Rap-
ports die Rebellen, welche den Zugang zum Messe-
haus gesperrt hatten, die Belagerung des Gouverneurs-
hauses mit verstärkter Heftigkeit wieder aufnahmen.
(Erst am folgenden Tage konnte ich Riebows völlig
unversehrten Leichnam mit Manga Bells Hülfe vor
dem Hause des Letteren provisorisch begraben lassen.)
Da die entflohenen schwarzen Telegraphisten trotzt
mehrfacher Aufforderungen zur Rückkehr auf die Joß-
platte nicht zu bewegen waren, so sandte ich um
9 Uhr vormittags, um welche Zeit das Telegraphen=
amt in Bonny geöffnet wird, unter Bedeckung einiger
farbiger Soldaten den Postsekrctär Bieberstein
in das Telegraphenzimmer des nahen Verwaltungs-
gebäudes, damit derselbe meine Requisition um Hülfe
an S. M. S. „Hyäne“ nach Siäo Thom telegraphisch
übermittele. Bieberstein kam nicht wieder zurück,
da inzwischen die Verbindung zwischen Verwal-
tungsgebäude und Gouverneurshaus durch die Da-
homes abgeschnitten war, und rettete sich sammt
seiner schwarzen Bedeckung auf S. M. S. „Nachtigal“.
Es hat sich nachträglich herausgestellt, daß die von
Bieberstein aufgegebene Depesche die „Hyäne“ nicht
erreicht hat.
Da der Angriff der Gegner immer hestiger,
unsere Munition dagegen immer weniger wurde,
lonnten wir das Gouverneursgebäude nicht mehr
halten. Nachdem der verwundele Siepert und die
Schwester Margarethe unter bewaffneter Bedeckung
das Haus verlassen hatten, eröffneten wir behufs
Ablenkung der feindlichen Geschosse von den Voraus-
gesandten ein heftiges Gewehrfeuer gegen die An-
greiser und traten dann, nachdem Letztere etwas zu-
rückgetrieben waren, den Rückzug nach der „Nachtigal“
an, auf welchem wunderbarerweise Niemand von
den feindlichen Kugeln getroffen wurde, obwohl die
Einschiffung in die zur Ueberführung nach dem ge-
dachten Schisfe bestimmten Boote längere Zeit in
Anspruch nahm.
Ich stellte nunmehr die Gouvernementsfahrzeuge
„Nachtigal“ und „Soden“ den am linken Ufer des
Kamerunflusses wohnhaften Europäern zur Ver-
fügung. Die meisten Deutschen schifften sich auch auf
diesen Fahrzeugen ein, während andere Deutsche und
sämmtliche Engländer sich nach dem auf der rechten
Flußseite gelegenen, nicht gefährdeten Dorfe Hickory
begaben, woselbst sie theils in den Gebeuden der
dortigen Europäer, theils au Vord des in Hickory
behufs Reparirung auggeschleppten überseeischen
englischen Postdampfers „Benguela" Unterkunft
fanden. Die Kranken und Verwundeten wurden
nebst den Pflegeschwestern an Bord S. M. Hulk
„Cyclop“ gebracht. Ich selbst schifste mich mit
Lieutenant zur See Deimling, Premierlientenant