Von dem Bahnhof Modimba ab, wo sich große
Werkstätten befinden, ist die Bahn in steile, meist
aus reinem Lehm bestehende Lehmwände ein-
geschnitten und führt in gewagten Kurven bergauf,
bergab an sehr steilen und tiefen Böschungen hin.
Von 300 km an wird der Boden im Wesent-
lichen wieder sandig. Hinter 310 km tritt die Bahn
in ein freundliches Waldthal, in dem der Fluß Lukaya
entspringt, dessen Lauf — zunächst ein Waldbach —
der Schienenweg nun ohne Unterbrechung durch das
Blätter= und Lianengewirr afrikanischen Galerien=
waldes folgt, bis er bei 360 km wieder auf bergige
Grasflächen hinaustritt und kurz vor 370 km einen
herrlichen Rundblick auf weithin sich erstreckende
Waldgebirge und die sehr schön in denselben liegende
Jefuitenmission Kimuenza gewährt (360 bis 410 m
hoch). Es folgt ein sanfter Abstieg in eine unüber-
sehbare Grasfläche, am Horizont erscheinen in blauer
Ferne die Uferberge des Kongostromes und auf
ebener Bahn eilt der Zug in schnurgerader Linie
der eigentlichen Endstation Ndolo zu (390 kmi:
293 m hoch), wo der Ausblick auf die imponirende
Wasserfläche des Stanley Pool“ den Reisenden über-
rascht. Eine Nebenstrecke schließt, dem Ufer des
Sees folgend, Kinshassa und Leopoldville an Ndolo
an, und gewährt den am Ufer gelegenen Nieder-
lassungen der Magazins Générausx, Belgica, Sociéte
Anonyme Belge pour le Commerce du Haut
Congo, Nieuve Africaansche Handelsvenoot-
schap, der englischen Baptistenmission, endlich der
Hauptstadt des District du Stanley Pool, Leopold-
ville, unmittelbare Bahnverbindung.
Auffallenderweise erblickt man an der ganzen
Bahnstrecke nicht ein einziges wirkliches Eingeborenen-
dorf; die eingeborene Bevölkerung scheint sich, wie
schon theilweise von der alten Karawanenstraße, so
auch vor den schnaubenden Dampfungeheuern der
Weißen, in stillere Winkel ihres schönen und an
Verstecken reichen Landes zurückgezogen zu haben;
der „bushsteamer“, wie die Kruleute in ihrem
ausschließlich auf das Seewesen bezüglichen englischen
Idiom die Lokomotive nennen, flößt ihnen einen
außerordentlichen Respekt ein, der wohl noch etwas
erhöht wird durch die nothwendige Energie der
Bahndirektion. Sehr verständiger Weise hat Letztere
bisher von kostspieligen Bahnhofsbauten Abstand ge-
nommen; die Bahnhäöfe weisen als Schuppen und
Maschinenhallen praktische, den Bedürfnissen ent-
sprechende Wellblechbauten auf; als Wohnhäuser des
europäischen Dienstpersonals dienen transportable
Baracken im Stil der Kochschen Baracken, sogenannte
Omaisons davoises“, häufig mit hübschen, luftigen
Andauten aus einheimischem Material versehen. Die
meisten Stationen haben noch einen provisorischen
Charakter; Platzänderungen werden noch häufig vor-
kommen. Im Anschluß an die Stationen und auch
sonst über die ganze Bahnlinie verstreut, finden sich
Arbeiterlager (camps), und außer den aus fremden
Kolonialgebieten bezogenen Leuten beginnen sich auch
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die Eingeborenen des Landes hier wieder anzusiedeln,
da sie bei der Bahn stets Beschäftigung und Lohn
erhalten. Besonders liefert der Stamm der Bangala-
vom oberen Kongo her große Mengen von Arbeitern.
Der Gedanke der Kongobahn ist unstreitig einer
großartigen Auffassung der civilisatorischen Aufgabe
Europas in Afrika entsprossen; diese Auffassung, von
einem weitblickenden Monarchen zum Ausdruck ge-
bracht, ist durch seine energischen Berather und Helfer
in dem Werke der Kongobahn zur That geworden;
die belgischen Ingenieure haben sich durch die Aus-
führung des Werkes großen Ruhm erworben.
Auf dem Bahnhof in Ndolo, wo wir nachmittags
5 Uhr eintrafen, empfing mich Dr. Briart, der
Direktor der S. A. B. (Sociêté Anonyme Belge),
und wenige Minuten später verließen wir den Zug
mitten auf dem geräumigem Hofe seiner Nieder-
lassung in Kinshassa, um sofort mit Einrichtung eines
Lagers in der Nähe der Faktorei zu beginnen. Das
Lager wurde für das gesammte farbige Personal der
Expedition aus Strohhütten hergestellt; die Europäer
wohnten in Zelten; ich selbst und die Herren Plehn
und Kramsta fanden Unterkunft in den Wohn-
gebäuden der S. A. B.
Am folgenden Abend (16. Dezember)
Dr. Plehn mit dem Rest der Expedition ein.
Ich hatte inzwischen schon erfahren, daß die erste
Enttäuschung unserer harrte: es war zunächst kein
Dampfer für die Fahrt stromauf zu erhalten. Nach
den Schilderungen des Oberleutnants v. Carnap-
Quernheimb hatte ich annehmen müssen, daß
Dampfer am Stanley Pool stets in Hülle und Fülle
zur Verfügung seien, und demgemäß bei keinem der
dort ansässigen Häuser schon von Europa aus irgend
welche Schritte gethan, um mir nicht von vornherein
die Hände zu binden. Wie dies aber schon im
Jahre 1887 Stanley bei Antritt seiner Emin-
Pascha-Expedition erlebt hatte, waren bei meiner
Ankunft in Kinshassa sämmtliche in Frage kommenden
Dampfer entweder auf dem oberen Fluß und in den
Nebenflüssen, oder, wie in unserem Fall, der hollän-
dische Dampfer „Heuriette“ infolge einer Havarie in
Reparatur.
Anfragen bei der Kongoregierung und ver-
schiedenen Missionen wegen Uebernahme wenigstens
eines Theils des Transports hatten einen negativen
Erfolg; Alles war bereits überfüllt auf Monate
hinaus. In Brazzaville wartete schon seit über
einen Monat der Rest der Expedition Fourneau
unter Administrateur Fondires, um mit einem der
von oben erwarteten Dampfer des holländischen
Hauses gleich uns den Sanga hinausbefördert zu
werden. Auf allen Werften Dampfer im Bau, leider
keiner fertig. Allein die S. A. B. hatte drei Dampfer
in Arbeit, ein größerer von 35 Tonnen und zwei
kleinere von je 10 Tonnen, alles Heckradkonstruktionen
der bekannten Firma Cockerill (Maison Cockerill & Co.,
Seraing et Hoboken, bei Antwerpen, Belgien), sehr
praktisch und solide.
traf