aber die berüchtigten Buschkanachen. Diese können
also ihr Unwesen treiben wie vorher, nur muß die
Sache etwas stiller vor sich gehen.
Der Leser kann sich leicht denken, daß, wenn diese
verkommenen Menschen vor dem Morde nicht zurück-
schrecken, ihr Gewissen auch gegen andere Laster ab-
gestumpft sein muß. Die Kanachen sind ungemein
träge und „Müßiggang ist aller Laster Anfang“.
Sie stehen zwar in dieser Beziehung nicht auf der
Stufe der Kanachen von Neu-Guinea, die wohl ihr
ganzes Leben verschlafen; aber es wird noch lange
dauern, bis sie die volle Wahrheit des göttlichen
Gebotes begreifen und fühlen werden: „Im Schweiße
deines Angesichts sollst du dein Brot erwerben.“ Der
liebe Gott hat eben bei Vertheilung seiner Wohl-
thaten die Kanachen so gut bedacht, daß diese die
Hände in den Schoß legen können. Zu einer be-
liebigen Zeit des Jahres stecken sie ihre Bananen,
Taros und Yams in den sruchtbaren Boden und
überlassen dem Himmel, Regen und Sonnenschein zu
spenden. Kein Frost, kein Hagel, keine Winterzeit
stört das Wachsthum oder ruft eine Mißernte hervor.
Das ganze Jahr hindurch können sie pflanzen und
ernten, und nie geht der frische Vorrath aus.
Da es den Kanachen unmöglich ist, die ausge-
dehnten Landstriche zu bebauen, die ihnen gehören,
so arbeiten sie nur in bewaldeten Bezirken, um, wie
sie sagen, den sengenden Strahlen der Sonne zu
entgehen. Die unbewaldeten Strecken überlassen sie
ihrem Geschicke, und das mannshohe kunei (Gras)
wuchert dort üppig hervor. Die herrliche Kokosnuß
liesert ihnen den erfrischendsten Trank und die köst-
lichste Milch; um ihre Speisen zu würzen, stehen
ihnen Hunderte von Kräutern zur Verfügung. Eine
Bananen= oder Tarospflanzung ist in wenigen Tagen
hergestellt, und dann können sich die Männer auf
die faule Haut legen.
Das Geschick der Frauen ist etwas trauriger,
obgleich es keiner derselben einfallen würde, sich
darüber zu beklagen. Sie müssen die bestellte Pflan-
zung rein halten, und das ist keine Kleinigkeit bei
der Ueppigkeit des Bodens. Ihr Geschäft ist es,
die reisen Früchte bei brennender Hitze auszugraben
und in mächtigen Körben stundenweit zu Markt zu
tragen. Die Männer jedoch marschiren majestätisch
dahinter her und schmanchen gemüthlich ihr Pfeischen.
Daß die Kanachen Lügner und geriebene Diebe sind,
das ist nichts Neues. Ich bin überhaupt schon halb
zur Ueberzeugung gekommen, daß die Wörter atene
vaogo (Lügner), atene nilog (Dieb) nicht ganz und
gar dem Sinne der deutschen Worte entsprechen, denn
oft, wenn ich jemanden einen Lügner oder Dieb
nannte und glaubte, ihm einen Vorwurf zu machen,
so erreichte ich nicht die gewünschte Wirkung, sondern
der Betreffende schien fast von meiner Bemerkung
geschmeichelt zu sein. Ich glaube also, daß das Wort
atene vaogo (Lügner) auch einen Nebensinn von
„pfisfig“, das Wort atene nilog die Bedeutung von
„flink“, geschickt (im Stehlen) einschließt; nach kana-
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chischer Auffassung ist also nur der ein Betrüger,
der seiner Lüge überführt wird, ein Dieb, der auf
der That ertappt wird. Diese beiden Untugenden
sind so sehr in Fleisch und Blut des Kanachen über-
gegangen, daß ihn sein Gewissen deshalb nicht viel
zu beunruhigen scheint.
Als ich eines Tages Unterricht ertheilte, wurde
während desselben einem Katechumenen das Messer
weggenommen, das er außerhalb der Kirche nieder-
gelegt hatte. Der Sohn eines Häuptlings wurde
der That überführt, er hatte das Messer einstweilen
ins hohe Gras gelegt, um es nach dem Unterricht
an einen sicheren Ort zu bringen. Ich nahm das
Bürschchen ins Verhör und drohte ihm mit dem
Zuchthaus, im Falle Aehnliches sich wiederholte. Am
Abend kam der alle Häuptling zu mir, der seinen
Herzenssohn bereits im Gefängniß schmachten zu
sehen glaubte, und er bat mich, ihm doch diesen
Schmerz nicht zu bereiten. Ich wiederholte ihm,
daß es seine Pflicht als Vater sei, den Jungen zu
züchtigen; im Falle er es aber unterlasse, würde ich
es durch den Richter thun lassen, da sein Sohn einen
Diebstahl begehen wollte. Er aber widersprach dem
heftig und behauptete fest und steif, daß sein Sohn
nichts Uebles gethan habe, da ja das Messer wieder
an seinen Besitzer gekommen sei. Unterdessen brachte
ich es so weit, daß er diesmal sein Söhnchen bestrafte.
Die Kanachen sind große Kinder und sie fallen
leicht in die Fehler der Kinder. Ist man gut mit
ihnen, so werden sie frech und zudringlich, ein
strenges Verfahren macht sie kleinlaut. Sie achten
den weißen Mann, weil sie seine geistige Ueberlegen-
heit wohl fühlen, aber sie möchten ihn am liebsten
ausnützen und bis auf den letzten Heller ausplündern.
Der Missionar muß daher sehen, daß er im Umgang
mit diesen großen Naturkindern in weisem Maße Güte
und Strenge vertheilt. Und hier muß ich auch eine
gute Eigenschaft meiner Kanachen erwähnen, die bei
den europäischen Kindern nicht so allgemein ist,
nämlich sie hegen keinen Groll gegen denjenigen, der
sie mit Strenge zurechtgewiesen. Vor Kurzem war
ich genöthigt, gegen einen Mann, welcher mich öfters
in auffallender Weise belästigt hatte, die richterliche
Gewalt anzurusen. Um gleichzeitig den anderen
ein abschreckendes Beispiel zu geben und ihnen zu
zeigen, wie sie sich gegen den Missionar zu verhalten
hätten, sandte der Richter die ganze Polizeitruppe
von Herbertshöhe nach St. Otto, um den Angeklagten
zu verhaften, und ließ die ganze Strenge des Gesetzes
walten. Das machte auf meine großen Kinder Ein-
druck. Allein ich mußte nun fürchten, daß sie ent-
weder aus Angst oder aus Unzufriedenheit über
meine Handlungsweise nicht mehr zum Unterricht
kommen würden. Ich täuschte mich; denn das Gegen-
theil war der Fall, und am Morgen nach der Ver-
urtheilung ihres Landsmannes kamen sie viel zahl-
reicher als vorher.
Das Laster der Vielweiberei ist allgemein auf
Neupommern. Die Häuptlinge fröhnen demselben