Full text: Deutsches Kolonialblatt. X. Jahrgang, 1899. (10)

aber die berüchtigten Buschkanachen. Diese können 
also ihr Unwesen treiben wie vorher, nur muß die 
Sache etwas stiller vor sich gehen. 
Der Leser kann sich leicht denken, daß, wenn diese 
verkommenen Menschen vor dem Morde nicht zurück- 
schrecken, ihr Gewissen auch gegen andere Laster ab- 
gestumpft sein muß. Die Kanachen sind ungemein 
träge und „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. 
Sie stehen zwar in dieser Beziehung nicht auf der 
Stufe der Kanachen von Neu-Guinea, die wohl ihr 
ganzes Leben verschlafen; aber es wird noch lange 
dauern, bis sie die volle Wahrheit des göttlichen 
Gebotes begreifen und fühlen werden: „Im Schweiße 
deines Angesichts sollst du dein Brot erwerben.“ Der 
liebe Gott hat eben bei Vertheilung seiner Wohl- 
thaten die Kanachen so gut bedacht, daß diese die 
Hände in den Schoß legen können. Zu einer be- 
liebigen Zeit des Jahres stecken sie ihre Bananen, 
Taros und Yams in den sruchtbaren Boden und 
überlassen dem Himmel, Regen und Sonnenschein zu 
spenden. Kein Frost, kein Hagel, keine Winterzeit 
stört das Wachsthum oder ruft eine Mißernte hervor. 
Das ganze Jahr hindurch können sie pflanzen und 
ernten, und nie geht der frische Vorrath aus. 
Da es den Kanachen unmöglich ist, die ausge- 
dehnten Landstriche zu bebauen, die ihnen gehören, 
so arbeiten sie nur in bewaldeten Bezirken, um, wie 
sie sagen, den sengenden Strahlen der Sonne zu 
entgehen. Die unbewaldeten Strecken überlassen sie 
ihrem Geschicke, und das mannshohe kunei (Gras) 
wuchert dort üppig hervor. Die herrliche Kokosnuß 
liesert ihnen den erfrischendsten Trank und die köst- 
lichste Milch; um ihre Speisen zu würzen, stehen 
ihnen Hunderte von Kräutern zur Verfügung. Eine 
Bananen= oder Tarospflanzung ist in wenigen Tagen 
hergestellt, und dann können sich die Männer auf 
die faule Haut legen. 
Das Geschick der Frauen ist etwas trauriger, 
obgleich es keiner derselben einfallen würde, sich 
darüber zu beklagen. Sie müssen die bestellte Pflan- 
zung rein halten, und das ist keine Kleinigkeit bei 
der Ueppigkeit des Bodens. Ihr Geschäft ist es, 
die reisen Früchte bei brennender Hitze auszugraben 
und in mächtigen Körben stundenweit zu Markt zu 
tragen. Die Männer jedoch marschiren majestätisch 
dahinter her und schmanchen gemüthlich ihr Pfeischen. 
Daß die Kanachen Lügner und geriebene Diebe sind, 
das ist nichts Neues. Ich bin überhaupt schon halb 
zur Ueberzeugung gekommen, daß die Wörter atene 
vaogo (Lügner), atene nilog (Dieb) nicht ganz und 
gar dem Sinne der deutschen Worte entsprechen, denn 
oft, wenn ich jemanden einen Lügner oder Dieb 
nannte und glaubte, ihm einen Vorwurf zu machen, 
so erreichte ich nicht die gewünschte Wirkung, sondern 
der Betreffende schien fast von meiner Bemerkung 
geschmeichelt zu sein. Ich glaube also, daß das Wort 
atene vaogo (Lügner) auch einen Nebensinn von 
„pfisfig“, das Wort atene nilog die Bedeutung von 
„flink“, geschickt (im Stehlen) einschließt; nach kana- 
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chischer Auffassung ist also nur der ein Betrüger, 
der seiner Lüge überführt wird, ein Dieb, der auf 
der That ertappt wird. Diese beiden Untugenden 
sind so sehr in Fleisch und Blut des Kanachen über- 
gegangen, daß ihn sein Gewissen deshalb nicht viel 
zu beunruhigen scheint. 
Als ich eines Tages Unterricht ertheilte, wurde 
während desselben einem Katechumenen das Messer 
weggenommen, das er außerhalb der Kirche nieder- 
gelegt hatte. Der Sohn eines Häuptlings wurde 
der That überführt, er hatte das Messer einstweilen 
ins hohe Gras gelegt, um es nach dem Unterricht 
an einen sicheren Ort zu bringen. Ich nahm das 
Bürschchen ins Verhör und drohte ihm mit dem 
Zuchthaus, im Falle Aehnliches sich wiederholte. Am 
Abend kam der alle Häuptling zu mir, der seinen 
Herzenssohn bereits im Gefängniß schmachten zu 
sehen glaubte, und er bat mich, ihm doch diesen 
Schmerz nicht zu bereiten. Ich wiederholte ihm, 
daß es seine Pflicht als Vater sei, den Jungen zu 
züchtigen; im Falle er es aber unterlasse, würde ich 
es durch den Richter thun lassen, da sein Sohn einen 
Diebstahl begehen wollte. Er aber widersprach dem 
heftig und behauptete fest und steif, daß sein Sohn 
nichts Uebles gethan habe, da ja das Messer wieder 
an seinen Besitzer gekommen sei. Unterdessen brachte 
ich es so weit, daß er diesmal sein Söhnchen bestrafte. 
Die Kanachen sind große Kinder und sie fallen 
leicht in die Fehler der Kinder. Ist man gut mit 
ihnen, so werden sie frech und zudringlich, ein 
strenges Verfahren macht sie kleinlaut. Sie achten 
den weißen Mann, weil sie seine geistige Ueberlegen- 
heit wohl fühlen, aber sie möchten ihn am liebsten 
ausnützen und bis auf den letzten Heller ausplündern. 
Der Missionar muß daher sehen, daß er im Umgang 
mit diesen großen Naturkindern in weisem Maße Güte 
und Strenge vertheilt. Und hier muß ich auch eine 
gute Eigenschaft meiner Kanachen erwähnen, die bei 
den europäischen Kindern nicht so allgemein ist, 
nämlich sie hegen keinen Groll gegen denjenigen, der 
sie mit Strenge zurechtgewiesen. Vor Kurzem war 
ich genöthigt, gegen einen Mann, welcher mich öfters 
in auffallender Weise belästigt hatte, die richterliche 
Gewalt anzurusen. Um gleichzeitig den anderen 
ein abschreckendes Beispiel zu geben und ihnen zu 
zeigen, wie sie sich gegen den Missionar zu verhalten 
hätten, sandte der Richter die ganze Polizeitruppe 
von Herbertshöhe nach St. Otto, um den Angeklagten 
zu verhaften, und ließ die ganze Strenge des Gesetzes 
walten. Das machte auf meine großen Kinder Ein- 
druck. Allein ich mußte nun fürchten, daß sie ent- 
weder aus Angst oder aus Unzufriedenheit über 
meine Handlungsweise nicht mehr zum Unterricht 
kommen würden. Ich täuschte mich; denn das Gegen- 
theil war der Fall, und am Morgen nach der Ver- 
urtheilung ihres Landsmannes kamen sie viel zahl- 
reicher als vorher. 
Das Laster der Vielweiberei ist allgemein auf 
Neupommern. Die Häuptlinge fröhnen demselben
	        
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