E. Die Idee des Rechtes. VI. Die Begründung des Rechtszwanges. 51
Entscheidungen, die in einer besonderen Lage sich herandrängend anbieten.
Sie bezeugen einem besonderen rechtlichen Inhalte nur die formale Eigen-
schaft der „Richtigkeit‘‘. Dagegen bringen sie von sich aus nichts von ma-
terial bestimmten Sätzen hervor, sie erwarten die Zuführung von geschicht-
lich werdendem Stoffe, der in der sozialen Erfahrung unaufhörlich aus den Be-
wegungen des gesellschaftlichen Daseins her in natürlichem Entstehungs-
prozesse uns wird.
Danach hat der Begriff von richtigen Rechtsgrundsätzen schließlich auch
nichts mit den ‚Grundlagen einer Gesellschaftsordnung‘‘' zu tun; denn diese
sind besondere Rechtseinrichtungen mit bestimmtem stofflichen Inhalte, z. B.
Privateigentum, freie Vererbung und ähnliches. Und es sind unsere Grund-
sätze von „Grundrechten‘‘ zu scheiden, wie sie 1849 für das deutsche Volk und
vordem 1789 in der declaration des droits de ’homme et du citoyen aufgestellt
worden sind oder in dem heutigen Völkerrechte als besondere Rechte der Staaten
aus der allgemeinen Einrichtung des Völkerrechtes her gefolgert werden. In
allen solchen Lagen handelt es sich um begrenzte Rechtssätze, während
die Grundsätze des richtigen Rechtes nichts als reine Methoden des rechten
Überlegens sind, um zwischen zwei möglichen Obersätzen bedingten Inhaltes
die richtige Wahl treffen zu können.
VI Die Begründung des Rechtszwanges. Vor kurzem wurde ein
Rekrut zu der Fahne eingezogen, der sich entschieden weigerte, den Dienst mit
der Waffe zu tun. Die Gebote der engeren religiösen Gemeinschaft, der er an-
gehörte, verböten ihm Übung und Führung der Waffen. Auch durch Aufer-
legung einer Freiheitsstrafe konnte er nicht dazu bewogen werden, seine Weige-
rung aufzugeben. In entsprechender Weise haben auch schon Mitglieder ge-
wisser Sekten es abgelehnt, als Zeugen vor Gericht den staatlich geforderten
Eid abzulegen. Das Recht aber verzichtet auf den selbstherrlichen An-
spruch seines Geltens nicht. Es tritt in der geschichtlichen Erfahrung mit
diesem Anspruch auf (C. 3). Und es läßt im besonderen nicht zu, daß jemand
nach eigener Entschließung sich von der Herrschaft seiner Rechtsordnung be-
freit erkläre. Man könnte meinen, daß dies schon daraus sich begreife, weil
sonst Unordnung im Lande entstehe, wenn rechtlich Befreite doch unter den
Rechtsgenossen lebten und mehr oder weniger bedeutsam von den Vorteilen
der sie umgebenden rechtlichen Gemeinschaft Vorteile zögen, ohne zu deren
Lasten beizutragen. Aber ein solcher Zustand wäre ja keineswegs unbedingt
unmöglich; er kann gedacht werden, ohne mit notwendigen Grundlagen dieser
Gedankenreihen in Widerspruch zu treten, und findet auch in dem Dulden von
Fremden und dem germanischen ‚Prinzip der persönlichen Rechte‘‘ gewisse
praktische Anwendungen. Entscheidend aber ist dieses, daß der genannte selbst-
herrliche Geltungsanspruch des Rechtes auch die Zulässigkeit des Aus-
wanderns ergreift, und jeder, der unser Gebiet und sein Recht verlassen will,
der Genehmigung des letzteren bedarf, mag diese auch heute zumeist leicht
und etwa in allgemeiner Vorausbestimmung erteilt werden. Kann dieser
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Rechtszwang.