Full text: Deutsches Kolonialblatt. XV. Jahrgang, 1904. (15)

Pathologische Anatomie. 
Leider war es mir nicht möglich, mich über den 
Leichenbefund zu orlentieren, da während der Zeit 
meiner Anwesenheit in Entebbe kein Kranker im 
Lazarett starb. Die dem Lebenden durch Lumbal= 
punktion entnommene Zerebrospinalflüssigkeit weist 
einen erheblich größeren Gehalt an Zellen, vor- 
wiegend an Lymphozyten, auf, als es die Regel ist; 
die Zahl der Leukozyten im Blut erscheint nicht 
vermehrt. 
Krankheitsverlauf. 
Die englischen Arzte unterscheiden drei Stadien 
der Krankheit, deren erstes durch ein charakteristisches 
Verhalten der Körperwärme gekennzeichnet ist; die 
Temperatur ist morgens normal oder nur wenig 
erhöht und steigt nachmittags auf 38 bis 39 Grad 
an, so daß die Differenz zwischen Morgen= und 
Abendtemperatur gewöhnlich nicht mehr als zwei 
Grad ausmacht. Der Kranke fällt seinen Angehörigen 
durch sein verändertes Wesen auf, er wird mürrisch 
und zeigt weniger Interesse für seine Umgebung. 
Manchmal klagt er über hefiige Kopfschmerzen und 
EGliederreißen, während in vielen Fällen keine Klagen 
geäußert werden, und die klinische Untersuchung er- 
gibt, vom Verhalten der Körperwärme abgesehen, 
keine weiteren Krankheitszeichen. 
Erwähnen will ich, daß die Eingeborenen den 
Beginn der Krankhelt an der gegen früher außer- 
ordentlich gesteigerten Eßlust der Patienten zu er- 
kennen behaupten, während der Durst nicht erhöht 
sein soll. " 
Im zweiten Stadium ist die Körperwärme eben- 
falls erhöht, doch ist die Fieberkurve nicht so typisch 
wie im ersten; nunmehr entwickelt sich schnell das 
bekannte Krankheitsbild, in erster Reihe die Schlaf- 
sucht. Der Gesichtsausdruck ist verdrießlich und 
niedergeschlagen, der Blick starr und ausdruckslos, 
die Sprache wird leise, monoton, undeutlich. Regel- 
mäßig stellt sich jetzt ein mehr oder weniger starker 
Tremor der Zunge und Fmger, zuweilen auch der 
Lippen ein, der Gang wird unsicher und taumelnd, 
was anfangs besonders bei kurzen Wendungen in 
Erscheinung tritt, und im weiteren Verlauf tritt 
häufig Muskelzittern am ganzen Körper auf, das 
sch so steigert, daß der Kranke nicht mehr stehen 
ann. 
Das dritte Stadlum ist das der Erschöpfung, 
die Körperwärme sinkt unter die Norm, und der 
Kranke verfällt rapide; selten treten kurz vor dem 
Tode Konvulsionen auf. 
Im einzelnen Fall zeigt das Krankheitsbild 
natürlich mehr oder minder große Abweichungen 
von dem eben geschilderten. 
Krankheitsdauer. 
Die Dauer der Krankhell ist verschieden, im 
Mittel beträgt sie vier bis sechs Monate, und zwar 
pflegt das erste Stadium das längste zu sein, 
173 
  
  
während das dritte in kürzester Zeit zum Tode 
führt. 
Inkubation. 
Die Inkubationsdauer ist sehr lang. So erkrankte 
ein Askari in Fort Ternan acht Monate nach Ver- 
lassen des Seuchegebietes; in einem anderen Fall 
verstrichen sogar mehr als zwei Jahre bis zum Auf- 
treten der ersten Erscheinungen. Erklärlich werden 
diese Tatsachen, wenn man zwei Umstände in Betracht 
zieht, welche ein Ergebnis der Arbelten von Bruce 
darstellen. Wurde der Krankheitserreger durch den 
Stich von Fliegen, welche das Blut von Schlaf- 
kranken gesogen hatten, auf Affen übertragen, so er- 
schienen die Trypanosomen erst zwei Monate später 
im Blut der Versuchstiere. Das durch die Fliege 
übertragene Trypanosoma bedarf also längerer Zeit 
zu seiner Entwicklung im Organismus. Ferner 
beobachtete Bruce gelegentlich der zahlrelchen Blut- 
untersuchungen, welche er bei der eingeborenen Be- 
völkerung des Krankheitsgebletes vornahm, daß eine 
Anzahl von anscheinend völlig gesunden Personen 
in ihrem Blut Trypanosomen beherbergte, ohne die 
geringste Störung des Allgemeinbefindens aufzu- 
weisen. Das Trypanosoma scheint also längere oder 
kürzere Zeit im menschlichen Organismus leben zu 
können, ohne nachweisbare Krankheitserscheinungen 
auszulösen, doch sind die Untersuchungen über dlesen 
Punkt noch nicht abgeschlossen. 
Diagnose. 
So leicht und sicher die Diagnose ist, wenn das 
entwickelte Krankheitsbild vorliegt, so schwierig konnte 
sie im Beginn der Erkrankung sein; jeßzt ist es 
möglich, sie in jedem Stadium mit Gewißheit durch 
den Nachweis des Trypanosoma Ugandense zu 
stellen. Wenn letzteres von anderen Forschern bieher 
nicht gefunden wurde, so liegt das daran, daß das 
Trypanosoma, besonders im Blut, in verhältnis- 
mäßig geringen Mengen vorkommt, und es ist des- 
halb nötig, Blut und Zerebrospinalflüssigkelt zu 
zentrifugleren und das Sediment zu untersuchen. 
Die Zerebrospinalflüssigkeit wird zu diesem Zweck 
u¼ bis ½ Stunde zentrifugiert, das zur Verhütung 
der Gerinnung mit etwas Kaliumzitrat (1 proz. 
Lösung) versetzte Blut drelmal je 10 Minuten. 
Was die Krankheitszeichen im einzelnen angeht, 
so habe ich die vorstehenden schon erwähnt: das 
Verhalten der Körperwärme, den gesteigerten Appetit, 
die Schlafsucht, die Eigenart des Gesichtsausdruckes 
und der Sprache, den unsicheren Gang, den Tremor 
der Zunge und Finger, später der gesamten Skelett- 
muskulatur. Der Schwellung der Hals- und Nacken- 
drüsen, welche man gewöhulich findet, möchte ich kein 
besonderes Gewicht beilegen, da man sie auch sonst 
bei Negern häufig beobachtet. Eine Milzschwellung 
konnte ich in keinem Falle feststellen, ebenso zeigte 
das Verhalten der Reflexe keine Besonderheiten; nur 
der Patellarreflex schien in einigen Fällen gesteigert, 
während er in anderen vorgeschrittenen fehlen kann.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.