Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

W 152 2c0 
3. Jede Kolonie soll, soweit irgend möglich, 
auf ihre eigenen Einnahmen angewiesen werden, 
aber das Mutterland kann sehr wohl den Kredit 
der Kolonie unterstützen oder später rückzahlbare 
Vorschüsse gewähren. 
4. Bei unentwickelten Kolonien, deren Ein- 
wohner nicht geeignet sind, wichtige öffentliche 
Einrichtungen, wie Eisenbahnen, Kanäle, Tele- 
graphensysteme zu leiten, ist es wohl richtig, daß 
diese Anlagen der Regierung gehören sollen und 
lieber durch Beamte als durch Privatgesellschaften 
zu verwalten sind. 
Ich schiebe hier ein, daß dieser Satz um so 
merkwürdiger ist, als in Amerika irgendwelches 
Staatseigentum weder an Bahnen noch an Tele- 
graphen noch an Telephonen besteht und bisher 
dort auch durchaus perhorresziert worden ist. 
5. Die Auswahl der Einnahmegquellen soll 
in jedem Falle festgesetzt werden in Überein- 
stimmung mit der ökonomischen und sozialen Lage 
der Kolonien. 
6. Wo die Kolonie so gelegen ist, daß die 
Entwicklung des Handels mit fremden Ländern 
den wirtschaftlichen Hauptwert bildet, sollen Ein- 
fuhrzölle sehr niedrig sein beziehungsweise nicht 
erhoben werden. 
7. In Kolonien mit unentwickelten Wirtschafts- 
quellen soll die Hauptstütze für die allgemeinen 
Regierungseinnahmen ein System indirekter 
Steuern bilden mit entsprechenden Zöllen auf 
importierte Artikel, wenn diese den von der in- 
direkten Steuer betroffenen Gegenständen ähnlich 
sind. Lizenzen sollten zunächst eingeführt werden 
auf einige Artikel allgemeinen Verbrauchs, wie 
Alkohol, Opium und Reis. Sofern irgend eine 
Kolonie ausgesprochene Vorteile in der Erzeugung 
besonderer Konsumartikel, wie Zucker, Tabak, 
Hanf usw., besitzt, kann es wünschenswert er- 
scheinen, auch hier Lizenzen oder ähnliche Pro- 
duktionssteuern aufzuerlegen, es ist selbst eine 
Frage, ob niedrige Exportzölle auf solche Ver- 
brauchsartikel nicht in Ausnahmefällen angewandt 
werden sollen. 
Hier schiebe ich ein, daß die Konstitution der 
Vereinigten Staaten solche Ausfuhrzölle für ameri- 
kanische Produkte nach anderen Bundesstaaten 
verbietet und daß deshalb der Satz besonders 
bedeutsam ist, trotzdem er aus dem eben er- 
wähnten Grunde mit einer gewissen Zaghaftig- 
keit vorgebracht wird. 
8. Es ist nicht wünschenswert, eine Verzehr- 
steuer für lokale Zwecke aufzuerlegen. Lokale Ein- 
nahmen sollten in den meisten Fällen in erheb- 
lichem Umfange aus Grumdbesitz, Lizenzen für 
Geschäfte und ähnlichen Spezialsteuern bezogen 
werden. 
  
9. Wo es immer möglich ist, sollten in der 
staatlichen Verwaltung Ansässige der Kolonie als 
Beamte gebraucht werden. Es muß aber oberster 
Grundsatz bleiben, daß als letzte Instanz die 
Wünsche des Mutterlandes ausschlaggebend sein 
müssen. 
10. Solange als die Kolonien die neuzeit- 
lichen wirtschaftlichen Bedingungen noch nicht er- 
reicht haben, mag es empfehlenswert sein, soweit 
als möglich die einheimischen Gebräuche während 
der Übergangszeit beizubehalten. Zum Beispiel 
erscheint es durchaus möglich, daß für gewisse 
Zeit noch das System der Verpachtung der 
Steuern an Unternehmer, insbesondere die Häupter 
der Eingeborenen, unter den etwa erforderlichen 
Einschränkungen beibehalten bleibt. 
Für eine ordentliche Verwaltung der 
Staatswirtschaft einer Kolonie der Vereinigten 
Staaten ist es absolut notwendig, ein Beamten- 
recht einzurichten, welches über allen Zweifel 
hinaus die Tüchtigkeit und die Ehrlichkeit des 
Personals sicherstellt. 
12. In denjenigen Kolonien, wo es schwer 
ist, eine entsprechende Menge tüchtiger eingeborener 
Arbeiter zu erhalten, kann man die Frage der 
Zulassung fremder Arbeiter in ernsthafte Er- 
wägung ziehen. Wenn auch vielleicht hinreichende 
Gründe vorliegen für den Ausschluß chinesischer 
Arbeiter aus den Vereinigten Staaten, folgt daraus 
durchaus noch nicht, daß sie von den Philippinen 
ausgeschlossen bleiben müssen. 
Selbst dieser Satz hat für gewisse beschränkte 
Bezirke deutscher Kolonien seine Anwendung. Die 
reichhaltigen Phosphate, die sich z. B. in den 
Karolinen auf der Insel Nauru vorfinden, können 
mit den dort ansässigen wenigen eingeborenen 
Arbeitern nicht gefördert werden, und es ist, da 
das tropische Klima für europäische Arbeit nicht 
geeignet ist, vor wenigen Tagen ein erster 
Transport von 500 chinesischen Arbeitern dorthin 
abgegangen. Natürlich lassen sich diese Leitsätze, 
wenn man auch mit ihrem allgemeinen Geist, 
wie ich schon gesagt habe, einverstanden sein kann, 
nicht ohne weiteres übertragen. Sic enthalten aber 
die Quintessenz der kolonialen Finanzwissenschaft 
des heutigen Tages, und sie sind mit Urteil und 
Berständnis dem eingehenden Studium der Er- 
fahrungen aller kolonisatorisch tätigen Nationen 
entnommen. Der erste Satz, den ich verlesen 
habe, nämlich daß die Finanzen jeder Kolonie 
unabhängig und lediglich im Interesse ihrer selbst 
und nicht in dem des Mutterlandes geführt 
werden sollen, leitet über zu der Frage, die zu- 
nächst hier zu erwägen ist: Welches ist denn der 
gegenwärtige Stand der Einnahmen und Aus- 
gaben unserer verschiedenen Kolonien, und wie- 
weit kann man überhaupt von einer selbständigen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.