Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXII. Jahrgang, 1911. (22)

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Baumwolle zugeschrieben, die deshalb auch vom 
fremden Exporteur mit Vorliebe gekauft wird. 
Hierin ist unzweifelhaft ein Erfolg der gerade in 
der Gegend von Linching, besonders an der 
Grenze nach Tungchangfu hin seit Jahren in 
größerer Ausdehnung betriebenen Anbauversuche 
mit amerikanischem Saatgut zu erblicken. Doch 
soll auch aus anderen Gegenden von Schantung 
und Chihli Baumwolle nach Tsinanfu kommen, 
die der Linchingchou-Ware mindestens gleichwertig 
ist. Der Schantung-Baumwolle wird als be- 
sonderer Vorzug gegenüber dem aus dem Yangtse- 
tal stammenden Erzeugnis ein geringerer natür- 
licher Feuchtigkeitsgehalt nachgerühmt, was wohl 
in der größeren Trockenheit des Schantunger 
Klimas überhaupt seinen Grund hat. 
Der Gesamtertrag der über mittelgut aus- 
gefallenen Schantung-Ernte für 1910 wird 
auf etwa 200 000 Pikuls geschätzt. Davon bleibt 
ein erheblicher Teil in der Provinz selbst, be- 
sonders zur Versorgung der baumwollarmen Ge- 
biete im Osten und Süden derselben. Ein 
anderer, in dauernder prozentualer Steigerung 
begriffener Teil geht nach Tientsin, wird dort ge- 
preßt und nach Europa und Japan ausgeführt. 
Nur ein relativ geringer Teil der Gesamternte 
kommt also für den Tsinanfuer Markt in Betracht. 
Das fremde Baumwollgeschäft in Tsi- 
nanfu wird bisher ausschließlich mit den dort 
sitzenden chinesischen Baumwollmaklern gemacht, 
die ihrerseits das ganze Geschäft mit den Zwischen- 
händlern bis herab zu den Produzenten besorgen. 
Versuche fremder Exporteure, unter Umgehung der 
Makler und Zwischenhändler durch ihre eigenen 
Chinesen im Innern direkt vom Produzenten zu 
kaufen, sind bisher nur vereinzelt gemacht worden 
und haben zumeist zu Fehlschlägen geführt. Das 
fremde, in diesem Jahr zum erstenmal in einigem 
Umfang aufgenommene Exportgeschäft ist noch zu 
klein, um gegen den Ring der Makler und ihre 
Preisstellung aufkommen zu können, die den 
Baumwollumschlagsverkehr in Tsinanfu von jeher 
fest in der Hand haben und üÜber langjährige 
Erfahrungen und Geschäftsbeziehungen im Innern 
verfügen. Nur, wo das Geschäft auf größerer 
Grundlage angepaßt wird, wie es z. B. neuer- 
dings von Tientsin aus geschieht, ist eine völlige 
Emanzipation vom Zwischenhandel durchzuführen. 
Die Folge dieses Angewiesenseins auf den ein- 
heimischen Makler ist, daß der fremde Exporteur 
in Tsinanfu von schlechten Erfahrungen mit den 
im chinesischen Baumwollgeschäft althergebrachten 
Unsitten nicht verschont geblieben ist. Besonders 
gilt dies vom Wässern der Baumwolle, die oft 
zu 15 v. H. ihres Gewichts und darüber künstlich 
mit Wasser beschwert ist. Eine andere häufig 
geübte Manipulation ist die Beschwerung mit im 
  
Ballen versteckten Strickknäueln, Erdklumpen usw- 
und die ungenügende Reinigung von den schweren 
Kernen. 
Die entkernte Baumwolle kommt in Ballen 
von 85 bis 95 Kättie Gewicht, bei etwa 3½ v. H 
Tara (Sack und Verschnürung) auf den Markt 
und wird vom fremden Exporteur mit Silber be- 
zahlt. Die diesjährigen Kontrakte mit fremden 
Firmen basieren meist auf einer Preisnotierung 
von 21 bis 22 Taels pro Pikul (60,4 kg) loco 
Tsinan. Der gegenwärtige (Anfang März) Markt- 
preis im freihändigen Verkauf ist bei dem Mangel 
an Zufuhren infolge der Pestgefahr, schlechter 
Wege usw. allerdings bedeutend höher, bis zu 
24 Taels. Diese Steigerung dürfte aber nur 
vorübergehend sein. Der Einstandspreis der 
Tsinanfu-Ware frei Bord Tsingtau (ungepreßt) 
erhöht sich durch die Bahnfracht und Nebenspesen 
um etwa 0,75 S. Der Unterschied des Einstands- 
preises in Tsinanfu gegenüber dem Verkaufspreis 
beim Produzenten beträgt 7 bis 10 v. H. Etwa 
2 v. H. davon können durchschnittlich auf die 
Frachtspesen bis Tsinanfu gerechnet werden. Die 
höheren Frachtspesen von weiter entfernt liegenden 
Produktionsgebieten werden meist durch den 
niedrigeren Preis, den die Baumwollbauern dort 
erhalten, wieder ausgeglichen. Der Rest von 
5 bis 8 v. H. bildet den Zwischenhändlergewinn, 
an dem der Kleinaufkäufer und der Großhändler 
im Innern und der Makler in Tsinanfu beteiligt 
sind. Zu diesem regulären Zwischenhändler- 
verdienst kommt dann noch der schon erwähnte 
besondere Verdienst, der durch die etwaige künst- 
liche Beschwerung der Ware gemacht wird. 
Ein kleiner Teil der in Tsingtau zum Export 
kommenden Baumwolle geht nach Japan. Der 
weitaus größte Teil aber wird nach Shanghai 
verschifft und in den dortigen chinesischen Groß- 
spinnereien, an denen meist fremde Firmen erheb- 
lich beteiligt sind, verarbeitet. Die Seefracht 
Tsingtau—Shanghai beträgt 1 3 pro 100 kg. 
Nach Europa geht bisher nichts von der 
Tsingtauer Ausfuhr, während, wie schon erwähnt, 
in Tientsin besonders in letzter Zeit beträchtliche 
Quantitäten Schantung-, namentlich Linchingchou- 
Baumwolle, nach England und Deutschland 
verschifft werden. Der Möglichkeit, die an sich 
erheblicher Steigerung fähige und für den fremden 
Handel bei Fortdauer der gegenwärtigen Lage 
auf dem Weltmarkt sehr aussichtsvolle Baumwoll- 
ausfuhr aus Schantung nach Tsingtau zu ziehen, 
steht bisher vor allem der Mangel einer leistungs- 
fähigen Baumwollpresse in Tsfinanfu entgegen. 
Schon beim Bahntransport auf der Schantung- 
bahn kann mit der ungepreßten Baumwolle die 
Ladefähigkeit der Baumwolle nicht ausgenutzt 
werden. Die ungepreßt nach Tsingtau gelangte
	        
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