Object: Das Völkerrecht systematisch dargestellt.

8 40. Die Rechtssätze des Landkriegsrechte. 309 
Die völkerrechtliche Anerkennung und Regelung der Stellung, die 
der besetzende Staat in dem besetzten feindlichen Gebiete ausübt, ist im 
3. Abschnitt der Landkriegsordnung (Art.42 bis 56) enthalten. Die Be- 
stimmungen, die auf den Erfahrungen des deutsch-französischen Krieges 
von 1870/71 beruhen, haben bei den jahrelang dauernden Besetzungen 
im Weltkrieg auf Schritt und Tritt sich als lückenhaft erwiesen. Die 
Lücken lassen sich aber ausfüllen, wenn der Grundgedanke, von dem 
die Bestimmungen ausgehen, klar erkannt und, den geänderten Ver- 
hältnissen entsprechend, sinngemäß weitergebildet wird. 
Dieser Grundgedanke läßt sich dahin bestimmen: Der besetzende 
Staat übernimmt die Ausübung der Staatsgewalt des 
verdrängten Staates. Das ist sein Recht und zugleich seine 
Pflicht als Glied des völkerrechtlichen Staatenverbandes. Um konkret 
zu sprechen: in dem besetzten belgischen Gebiet hat z.B. das Deutsche 
Reich die Ausübung der belgischen Staatsgewalt über- 
nommen; nicht als der Beauftragte Belgiens, sondern kraft eigenen, 
durch das Völkerrecht gewährleisteten Rechts. Das besetzte Gebiet 
blieb nach wie vor belgisches Gebiet; aber in ihm hatte die belgische 
Regierung die Befehls- und Zwangsgewalt an das Deutsche Reich ver- 
loren. Dem besetzenden Staat gegenüber sind die besetzten Gebiete 
Ausland, in dem die Gesetze des besetzenden Staates keine Anwen- 
dung finden. Während die deutsch-belgischen Verträge mit dem Aus- 
bruch. des Krieges erloschen waren, sind die von Belgien mit dem 
verbündeten Ausland und den neutralen Staaten geschlossenen Ver- 
träge in Kraft geblieben 5); aber die aus ihnen für Belgien erwachsenen 
Rechte waren von Deutschland wahrzunehmen. Die in Brüssel be- 
glaubigten diplomatischen Agenten des Auslandes hatten die Wahl, 
der belgischen Regierung zu folgen oder, wenn sie die Interessen ihrer 
Staatsangehörigen und Schutzbefohlenen wirksam vertreten wollten, in 
Brüssel zu bleiben und mit dem obersten Organ der deutschen Ver- 
waltung zu verhandeln. 
Gesetzgebung, Rechtspflege, Verwaltung werden, soweit es mög- 
lich ist, wie bisher fortgeführt. In die Lücken aber hat der besetzende 
Staat einzuspringen. Nach Art.43 „hat er alle von ihm abhängenden 
Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ord- 
nung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrecht zu er- 
halten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Be- 
achtung der Landesgesetze‘“. In dieser Bestimmung liegt der Rechts- 
titel für die Betätigung der Herrschaftsgewalt des besetzenden Staates. 
Je länger die Besetzung dauert, desto umfassender muß, im Interesse 
15) Teilweise abweichend bezüglich der Auslieferung Mittermaier, 
L.Z. X1625. Vgl. auch Laband in der Festgabe für Otto Mayer (1916) S. 1.
	        
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