Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

W 278 20 
Kolonialrechtliche Entscheidungen. 
Nr. 1. 
Kuszug aus dem Beschlusse des Königlich Dreußischen Kammergerichts (2. Strasfenat) 
vom 24. Jonuar 1911. 
1. Im Sinne der dem Strafrecht und dem 
Strafverfahrensrecht angehörenden Vorschrif- 
ten der Reichsgesetze bilden die Schutzgebiete 
und das Reich ein einheitliches Rechtsgebiet. 
2. Strafvorschriften, die wie diejenigen in den 
deutsch- südwestafrikanischen Diamanten- 
verordnungen nur für ein Schutzgebiet erlassen 
sind, find Landesstrafrecht des Schutzgebiets, 
das weder in einem andern Schutzgebiet 
noch im Reiche zur Anwendung gebracht 
werden darf. 
3. Die Gerichte im Reich find deshalb, 
abgesehen von einer einem deutsch-südwestafrika- 
nischen Gericht geleisteten Rechtshilfe, nicht 
zuständig, auf Grund der Diamantenverord- 
nungen Beschlagnahmen anzuordnen und 
über Einziehungen zu entscheiden. 
Nachdem der Beschuldigte X. vor der Ab- 
urteilung gestorben und der Angeschuldigte 9. 
rechtskräftig außer Verfolgung gesetzt ist, hat die 
Staatsanwaltschaft auf Grund der für das süd- 
westafrikanische Schutzgebiet erlassenen Diamanten- 
Verordnungen (des Kaisers vom 16. Jonuar 1909 
sowie des Gouverneurs vom 21. Oktober 1908, 
16. Dezember 1908 und 28. Februar 1909) das 
Einziehungsverfahren (§ 477 St. P.O.) wegen der 
durch die Beschlüsse des Untersuchungsrichters vom 
30. Dezember 1909 und 15. Januar 1910 be- 
schlagnahmten Diamanten beantragt. Das Land- 
gericht I Berlin hat die Anberaumung der Haupt- 
verhandlung abgelehnt und die Beschlagnahme 
ausgehoben. Hiergegen richtet sich die sofortige 
Beschwerde der Staatsanwaltschaft. 
Die Frage, ob das Gericht zur Ent- 
scheidung zuständig sei und ob die Diamanten- 
Verordnungen überhaupt im Deutschen Reiche 
angewendet werden könnten, hat das Landgericht 
unentschieden gelassen. Dies war nicht zuläsfig. 
Der Richter, der seine Zuständigkeit nicht prüsft, 
setzt sich der Gefahr aus, der Entscheidung des 
zuständigen Richters, die möglicherweise anders 
ansgefallen wäre, vorzugreifen. Ebenso wenig 
statthaft ist es, daß der Richter die Anwendbarkeit 
des zur Anwendung gebrachten Gesetzes in Zwelfel 
läßt. Beide Fragen waren vielmehr zu ent- 
scheiden, bevor das Landgericht in der Sache 
selbst befinden durfte. 
  
Der Oberstaatsanwalt verneint beide Fragen. 
Seinen Ausführungen ist lediglich beizutreten. 
Nach § 3 des Schutzgebietsgesetzes vom 25. Juli 
1900 (R.G. Bl. S. 813) und § 192 des Gesetzes 
über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 
1900 (R.G. Bl. S. 213) gelten zwar „die dem 
Strafrecht angehörenden Vorschriften der Reichs- 
gesetze, sowie die Borschriften dieser Gesetze über 
das Verfahren in Strassachen“ auch 
in den Schützgebieten. Insoweit und in diesem 
Sinne bilden daher die Schutzgebiete und das 
Deutsche Reich ein einheitliches Rechtsgebiet. 
Daraus folgt aber nicht, daß auch umgekehrt die 
nur für die Schutzgebiete erlassenen Gesetze ohne 
weiteres im Deutschen Reiche Geltung haben. 
uch die deutschen Bundesstaaten und die 
Reichslande bilden reichsgesetzlich ein einheitliches 
Strafrechtsgebiet. Daraus folgt jedoch nicht, daß 
das Landesstrafrecht des einen Bundesstaates in 
dem anderen Bundesstaat zur Anwendung ge- 
bracht werden kann. Das Gegenteil ist an- 
erkannten Rechtens. Der preußische Richter dari 
auf Grund des Bayerischen Polizei-Strafgesetz 
buchs nicht in Preußen, der bayerische Richter 
auf Grund des Preußischen Lotteriegesetzes nicht 
in Bayern einschreiten. Das gleiche gilt von 
den Landesstrasgesetzen der Reichslande und der 
Schutzgebiete. 
Die Diamanten-Verordnungen find ausdrück- 
lich nur „für das südwestafrikanische Schutgebiet 
erlassen. Damit ist nicht etwa nur rein tatsächlich 
die Möglichkeit der Begehung einer Zuwider- 
handlung örtlich begrenzt oder ein bestimmter 
Tatort zum Tatbestandsmerkmal erhoben, sondern 
das Gesetz selbst ist in seiner Geltung beschränkt. 
Die Diamanten-Verordn#ungen sind „Partikular- 
recht“, Südwestafrikanisches Landesstrafrecht, das 
weder in einem anderen Schutzgebiet, noch im 
Deutschen Reiche Geltung hat und darum dort 
auch nicht zur Anwendung gebracht werden darf. 
Die Geltung für das Reich könnte nur durch 
Reichsgesetz vorgeschrieben werden. · 
Hieraus folgt die Unzuständigkeit der Gerichte 
des Reichs zur Anwendung der Diamanten-Ber- 
ordnungen. Denn die prozessuale Zuständigkeit 
ist nur Form. . 
Selbst wenn jene an sich gegeben ist, ist das 
Gericht dennoch unzuständig, sobald es zur An- 
wendung des in Betracht kommenden materiellen 
Rechts nicht befugt und berufen ist. (Reichsgericht 
Strafsachen 36. 260.) Dies ist hier der Fall-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.