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schien auch zu wirlen. Einige Minuten vor 7 Uhr
stellte unsere Batterie dann das Feuer ein. Myburgs
Kolonnen waren in diesem Angenblick noch etwa
5 km von Tsumeb entfernt. Der Ort war vor Be-
ginn der Waffenruhe nicht besetzt worden! Man
glaubte in Tsumeb, es sei alles in bester Ordnung.
Statt dessen aber preschten plötzlich gegen 9 Uhr
Myburgs Reiter in den Ort. Des Waffenstillstands
wegen fiel bei uns kein Schuß; Gewehr bei Fuß,
das blanke Bajonett aufgepflanzt standen unsere
Posten rund um das Lager der 800 britischen Ge-
fangenen, die mit Gebrüll ihre Kameraden begrüßten.
Drohend war der Augenblick. Der Feind war un-
gehenerlich in der Uberzahl. Daun begannen Ver-
handlungen in Tsumeb mit General Myburg. Das
Ende? Herr Botha — wer die Macht hat, hat das
Recht — entscheidet, Myburg habe Tisumeb zu Recht,
trotz des Waffenstillstandes besetzt, weil Major Wehle
habe schießen lassen, während sein Parlamentär
unterwegs war, um zu verhandeln. Man machte
sogar erst den Versuch, uns auns der: Zeitdifferenz
zwischen deutschen und britischen Uhren einen Strick
zu drehen. Nach britischen Zeit, die etwa
50 Minnten der unseren astronomisch richtigen Zeit
voraus war, hatte Major Wehle allerdings nach
7 Uhr das Feuer begonnen, Myburg aber nicht etwa
um 7 Uhr seine Bedrohung Tsumebs eingestellt.
Da aber nicht abgemacht worden war, daß britische
Zeit für den Beginn der Waffenruhe maßgebend sei,
war mit dieser zuerst vorgebrachten faulen Ausrede
für die Besetzung Tsumebs nicht zu operieren, und
man suchte und fand den andern Grund.
Sehr übler Natur aber waren für nus die
Folgen dieser Nichtbeachtung des Waffenstillstandes
durch den Gegner. Zwar hatte man unserseits vor-
sichtig die Bestände des Artilleriedepots an allerlei
älteren Geschützen und auch die bei Sandfontein er-
beuteten britischen Kanonen in den Otsikoto-See
versenkt, da, wo er am tiessten ist, und die erbentete
Munition in tagelanger Arbeit vernichtet. Das
Bekleidungsdepot aber, das Proviantmagagin und
andere Bestände des Artilleriedepoto fielen dem
Feinde in die Hände, die Gesangenen waren befreit
und auch in Namutoni, wo Brit sich ebenfalls nicht
im geringsten an den Waffenstillstand kehrte, war
roviant und Munition verloren gegangen. Das
Schlimmste war natürlich, daß so der Truppe in
Khorab nicht nur der Weg zum Entkommen verlegt,
sndern auch der Proviant, bis auf den erwähnten
Rest für 14 Tage, entrissen war.
Zunächst tat Botha so, als ob er eine gerechte
Untersuchung der Vorgänge in Tsumeb billige —
worin an sich schon eine klare Anerkennung der Tat-
sache liegt, daß der Waffenstillstand für Tsumeb und
Namntoni ebensogut galt wie für Khorab! Auf
den vom Kommando eingelegten Protest hin forderte
er., daß der bei den Verhandlungen bisher beteiligte
Generalstabsoffizier, Hauptmann Trainer, mit zwei
der britischen Offiziere zur Untersuchung nach Tsumeb
gehe. Doch in Tsumeb wurde Hauptmann Trainer
mit allerlei Ausreden festgeh lien, so daß er dem
Kommandeur nicht einmal für den Abschluß der Tra-
ödie zur Verfügung stand. Am 7. erklärte nun
Botha plötzlich, Pretoria sei mit den vereinbarten
Bedingungen nicht einverstanden. Er forderte zu
neuen Vorschlägen auf. Die ersten Verhandlungen
hatten ihren Zweck erreicht. Er hatte Zeit gewonnen,
um Tiumeb und Namutoni zu besetzen. und zwar
ohne Verluste zu besetzen, und er hatte gesehen, daß
die Truppe nicht 6000 Mann stark sei, wie er bisher
angenommen hatte, sondern nur insgesamt 3400.
Die militärische Lage war für die Schutztruppe jetzt
natürlich ganz hoffnungslos. Man wußte. mummehr
einfach annehmen, was zu erreichen war, und
kam es denn nach ernenkem s ichlzedlich
zu nachstehenden Abmachungen
1. Dic aktive Truppe und die Polizeibeamten
sollten an einem noch zu bestimmenden Platz unter
drei Offizieren konzentriert werden. ie Truppe
behielt ihre Gewehre, mußte aber Mitlon und die
Geschünze abgeben
. Die Neservisten, Landwehr= und Landsturm-
leute sollten sämtlich nach Hause entlassen werden
und ihrem bürgerlichen Beruf nachgehen können.
3. Alle O Offiziere sollten „auf Parole' entlassen
werden; soweit sie die Abgabe der Parole aus
irgendeinem Grunde verweigerten, sollten sie in
Okanjande interniert werden.
4. Alle Offiziere behielten Waffen und Munition.
die auf Parole entlassenen ihre Pferde und ein
Manltier.
Wenn auch eine ehrenvolle Anerkennung darin
liegt, daß die aktive Truppe die Gewehre behielt,
Obfigiere sogar Gewehre, Munition und Pferde, nahe
ging allen besonders der Verlust der Geschütze. Über
dieses Gefühl konnte den aktiven Truppen, was auch
der Gonverneur selbst anerkannte, nur das Bewußt-
sein hinweghelfen, daß die Kapitulation ein Opfer
im Interesse der Erhaltung des Deutschtums sei,
dem ihr soldatisches Empfinden und Ideal nachagu-
stehen habe. Nur dieses Bewußtsein hat letzten Endes
die Bedingungen der Ubergabe annehmbar gemacht.
Was die blutigen Verluste auf unserer Seite
angeht, so betrugen sie etwa 10 Prozent der Front-
truppc. Sie sind verhältnismäßig gering, weil Botha,
wic schon sein Grundsaß: „Überflügelung, Hinaus-
marschieren des Feindes durch überlegene Kräfte"
bewies, seinen Buren (aus politischen Gründen)
schwere Verluste nicht zumuten wollte: dann aber
auch, weil die durch die Verhälmisse uns ausgezwun-
gene Taktik emscheidende Kämpfe nicht zuließ. Auch
in Khorab wäre es wohl kaum zu einem blutigen
Kampfe gekommen. JFedenfalls hätte uns Botha
niemals dort angegriffen, sondern hätte abgewartel,
bis und der Hunger zur Ubergabe zwang. Der
Feind hatte ganz ohne Zweisel sowohl mehr blurige
Verluste, wie auch unblutige an Gefangenen. Er
veröffeutlichte zwar Zahlen, die nur wenig höher
als unsere sind. Es wird sich aber nachweisen lassen,
daß diese: zahlen falsch sind, anscheinend absichtlich
falsch, um eine Beunruhigung der bothafeindlichen
Buren zu vermeiden. Daß die Verluste des Feindes
bei Gibeon über viermal so hoch waren, als er
angab, wurde schon erwähnt. Ein anderes Beispiel:
Botha behauptet, durch unsere Minen überhaupt
keinen Mann verloren zu haben. Dabei befanden
sich festgestelltermaßen in der Nähe der unter dem
Feinde erplodierten deutschen Minen allein 38 Gräber,
sicherlich nicht alles Einzelgräber. Man vermutet
daß Botha die Namen solcher Gefallenen verschwieg.
die in Südafrika keine Angehörigen besitzen, welche
nach ihnen zu forschen vermöchten.
Ein Offiziergefangenenlager wurde in Okan-
jande, einem in der Nähe der Otavibahn westlich
des Waterberges gelegenen Platz, eingerichtet.
Die aktiven Mannschaften der Schutztruppe und
der Landespolizei, insgesamt 1400 Mann, wurden
nach Aus, an der Bahn Lüderitzbucht— Keetmans-
hoop, im Süden des Schutzgebiets überführt und
in einem dort errichteten Lager untergebracht.