G 20 20
unwillkommen war. Vielleicht haben auch Beziehungen
von Duisburg nach Solingen hinübergespielt, dessen
Kammer das Zentrum der Bewegung gegen den
Vertrag bildete. Im ganzen wird aber diese Agitation
in Deutschland doch wohl eine ganz spontane, weil
natürliche und vollberechtigte gewesen sein, da in der
Tat vitale Interessen der deutschen Industric und des
Handels durch den Vertrag bedroht wurden. In
Hamburg die Schiffahrtsinteressen und die der dortigen
Pulver= und Spiitindustrie, in Harburg und Mann-
heim die der mächtig aufblühenden Ol= und Fett-
industrie, die schon damals in Harburg allein jährlich
50000 t Palmöl und Kopra verarbeitete; im Bereich
der Stolberger Kammer fühlte sich die Messingindustrie
bedroht wegen des Exportes der als beliebte Tausch-
ware für Schmuckzwecke am Kongo stark begebrten.
dünnen Messingstäbe, der sogenannten mitakos,
Solingen die damals noch blühende Fabrikation oon
Steinschloßgewehren, im Bezirk Verden die Pulver-
und Faßfabrik Walsrode, die mit 300 Arbeitern
allein 1500000 kg Pulver in 30000 Fäßchen über
Hamburg nach den Kongogebieten jährlich ausführte,
während der Hamburger Gesamtexport an Pulver
dorthin 2500000 kg brutto in 50000 Fässern aus-
machte.
Jedenfalls war man aber in Brüssel über den Fort-
gang der englisch-portugiesischen Unterhandlungen gut
unterrichtet, und es ist, wie auch aus dem englischen
Weißbuch über den Vertrag (Afrika Nr. 2, 1884,
Noten Nr. 24 bis 20) hervorgeht, dem Einfluß Leopolds
bei der englischen Regierung zuzuschreiben, wenn im
letzten Augenblick vor dem Abschluß des Vertrages
diese dem Anspruch Portugals auf Anerkennung seines
Besitzstandes am Kongo bis nach Vivi hinauf ein Veto
entgegensetzte und denselben auf Noki unterhalb Vivi
beschränkte.
In den Berliner amtlichen Kreisen war man über
dic Verhältnisse der Asscciation Internationale
du Congo um diese Zeit noch sehr wenig unterrichtet.
Die deutsche Gesandtschaft in Brüssel hatte sie bisher
nicht zum Gegenstand besonderer Berichterstattung
gemacht. Am 25. April 1884 erging daher auf direkte
Anweisung des Reichskanzlers die telegraphische An-
ordnung an den Gesandten, Grafen Brandenburg,
über „Zusammenzetzung, Zicl und Attribution sowie
die Flagge“ der Internctionalen Afrikanischen Gesell-
schast zu berichten, sowie neuere Verträge derselben
und daß es ferner für wünschenswert zu erachten sei,
daß die Vereinigte-Staaten-Regierung die Flagge
der Association anerkenne.
Der Leiter der Versammlung stellte ihr den Vor-
tragenden, Herrn Richter Daly, als einen Teilnehmer
an dem Geographenkongreß von 1876 im Königsschloß
in Brüssel vor. Das war etwas amerikanischer Humbug,
den keiner der mit den europäischen Verhältnissen
gänzlich unvertrauten Anwesenden bemerkte. An
jenem Kongroß hatte tatsächlich kein amerikanischer
Gcograph teilgenommen.
mit den eingeborenen Häuptlingen einzureichen. Man
war damals an leitender Stelle wohl nicht informiert,
daß in Deutschland frisch vom Kongo zurückgekehrte
Reisende vorhanden waren, die über diese Punkte
leicht Auskunft hätten geben können. Insbesondere
wäre hierzu der Afrikareisende Dr. Pechuel-Loesche,
der im Jahr 1882 das Kongounternehmen des Königs
an Stelle von Stanley geleitet hatte, leicht imstande
gewesen.
Graf Brandenburg setzte sich mit dem Kabinettschef
Jules Devaux in direkte Verbindung, der ihm über
verschiedene Punkte Auskunft erteilte. Devaux gab
zu, daß der König allerdings einige Bestimmungen
des englisch-portugiesischen Veitrages „im Interesse
der englischen Regierung“ hinsichtlich der Grenzen und
einiger Verbindungsstraßen, Punkte, welche ursprling-
lich englischerseits ziemlich oberflächlich behandelt
worden seien, durch seinen Rat modifiziert habe. Der
Gesandte hatte den Eindruck, daß nach der Art, wie
sich Devaux darüber ausdrückte, der König der Frage,
ob der Vertrag bestehen bleiben und die Anerkennung
seitens anderer Mächte finden werde, persönlich keinen
großen Wert beilege, eine Ansicht, die freilich irrig
war, wenn auch der König es streng vermied, nach
außen hin zu dem Vertrag irgendwie Stellung zu
nehmen. Im ganzen befriedigten die auf diesem Weg
gewonnenen und auch die von den Beotschaften in
London und Paris in dieser Angelegenheit einge-
sandten Informationen Fürst Bismarck noch nicht.
Verdächtig erschien besonders der Widerspruch, der
zwischen den Versicherungen der Gesellschaft, daß sie
entschlossen sei, dem internationalen Handel völlige
Freiheit zu gewähren und ihn nie mit Zöllen zu be-
lasten einerseits und dem Wortlaut einiger von ihr
mit Kongo-Häuptlingen abgeschlossenen Verträge
anderseits hervortrat. Denn nach diesen Verträgen
verpflichteten sich diese Häuptlinge, mit niemand
anderem als mit den Agenten der Gesellschaft Handel
zu treiben und jedem ihr Fremden diese Tätigkeit
innerhalb ihrer Gebiete zu verbieten. Auf diesen
Widerspruch wurden auch die Regierungen in Paris
und London bei passender Gelcgenheit aufmerksam
gemacht.
Selbst die Anerkennung der Flagge der Gesellschaft
seitens der Vereinigten Staaten schien für Bismarck
die Zweifel nicht zu beseitigen, welche er an ihrer Be-
fähigung hegte, aus cigener Kraft ihre Selbständigkeit
zu wahren. Für diese Anerkennung verzichtete sie
den amerikanischen Bürgern gegenüber auf die exklu-
siven Rechte, die sie durch ihre Verträge mit den
Häuptlingen erworben hatte. Die Ausdrücke, in denen
dies geschah, schienen Bismarck nicht ganz präzis und
von zweifelhafter Tragweite, sie könnten auch lediglich
als Zusage der Meistbegünstigung gedeutet werden.
Das Zugeständnis sei an die Bedingung geknüpft,
daß die Bürger der Vereinigten Staaten sich den
Gesetzen fügen. Diese Klausel erscheine sehr bedenklich