Von Gewahrsam und Besitz. 310
§. 12. Die Unwissenheit der Gesetze entschuldigt den nicht, der seinen Besitztitel
irriger Weise für gültig erachtet hat.
S. 13. Ein bloßer Irnhum in Thatsachen schadet der Redlichkeit des Besitzers
nicht, sobald nur der Irrende nicht durch eigenes grobes oder mäßiges Versehen in ei-
nen solchen Irrthum gerathen ist 1092.
S§. 14. Wer aber aus Unwissenheit der Gesetze in der Gültigkeit seines Besitzti-
tels irrt, heißt ein unrechtfertiger Besitzer, und wird, wo nicht bespndere Ausnahmen
gemacht sind, einem unredlichen Besitzer gleich geachtet 11 13. (§§. 232, 239, 240, 2411.)
§. 15. Wer schan zur Zeit der Erwerbung des Besitzes, bei der Anwendung ei-
nes gewöhnlichen Grades von Aufmerksamfeit 114), Ursache hatte, an der Gültigkeit
seines Besitztitels zu zweifeln, und sich dennoch ohne weitere Untersuchung den Besitz
zueignet, der wird bei einer in der Folge sich offenbarenden Unrechtmäßigkeit desselben,
einem unredlichen Besitzer gleich geachtet.
#. 16. Dagegen verliert der, bei welchem erst nach schon enworbenem Besitze bloße
Zweifel über die Rechtmäßigkeit desselben entstehen, dadurch noch nicht die Eigenschaft
und die Rechte eines redlichen Besitzers.
§. 17. Von dem Zeitpunkte aber, da Jemand von der Unrechtmäßigkeit 12) sei-
nes Besitzes überführt worden, ist er für einen unredlichen Besitzer zu achten.
5. 18. Die allgemeine Vermuthung streitet für die Redlichkeit des Besitzes, wo“
nicht die Gesetze in gewissen Fällen und Umständen die besondere Vermuthung des Ge-
gentheils ausdrücklich festsetzen.
§. 19. Wer des Besitzes einer Sache, die mit fremden Namen, einzelnen Buch-
staben, Wappen, Petschaften oder andem zur Bezeichnung des Eigenthums gewöhn-
des Prozesses gezogenen Früchte und Nutzungen herauszugeben. Denn, meinte Tevenar, jeder nicht
rechtmäßige Besitzer koune und solle aus der iu sinuirten Klage sein Unrecht abnehmen, und wenn er
es nicht emsehen wolle, so verdiene diese Berstockung keine Schonung. Und damit erklärte Suarez
sich einverttanden. Simon, S. 171.
10 #) (4. A.) Diesen Grundsatz hat schon das N. R. L. 44, §. 4 D. de usurpat. (XLI, 3); L. 7,
5. 2 D. pro emtore (XII, 4).
11) Diese Fiktion, welche auf den error juris gegründet wird — denn nach der Aeußerung von
Suarez wirkt der error juris keinen redlichen Besitz in sensu joris (Simon, S. 605); es ist da-
bei der Besitz als ein Recht gedacht, so daß auf den thatsächlich vorhandenen guten Glauben des Be-
siters gar nichts ankommt — ist doch nur auf die Herausgabe der omois cnusn und die Gegenfor-
Trungen beschränkt, wie die Allegate ergeben. Auf die Verjahrung findet sie keiue Anwendung. Pr.
des rtr. 2073, v. 20. Nov. 1848 und uneingetragenes Pr. vom 24. April 1649 in Sachen Schnei-
der w. Obt, 1 1/8 III, 49. (3. A.) Auch sitehen dem “— Besitzer die possessorischen Klagen
zu. Pr. des Obertr. v. 9. Jannar 1857 (Entsch. Bd. XXXIV, S. 78).
112) Vergl. §. 13 und die Anm. 10 # daju.
12) Es kommt also auch bei der wala fides superveniens nichts auf den thatsächlichen Glauben
des Besitzers an, vielmehr wird die mala ü#es fingirt, sobald der Besitzer von der Unrechtmäßigkeit
hing Besitzes „Uberführt“ wird. Vergl. Tit. 9, §. 611. Der Zeitpunkt wird, bei einem direkten
Kechtsangriffe auf den Besitz, auf den Faiimt der Klagebehändigung zurückgelegt. Bei außergericht-
lichen Handlungen hingegen, welche an sich ungeeignet zur Ueberführung des Besitzers sind, z. B. Pfän-
dungen (Tit. 9, §. 612), muß der Ausspruch des Richters über die Ne tmäßigkeit der Handlung (Pfäu-
dung) hinzukommen: eine von dem Richter rechtmäßig befundene Pfändung macht den Besit unredlich.
Pr. des Obertr. 1798, vom 16. Nov. 1846. In diesem Falle ist der Zeitpunkt der Uuredlichkeit auf
den Tag der Insinuation des Umels, wenn der Unterliegende nicht appellirt, sonst aber erst auf den
L der letztinstanzlichen Emscheidung zu verlegen, weil, so lange der Rechtsstreit dauert, noch keine
Ueberführung des Besitzers durch einen unabänderlichen Rechtsspruch erfolgt ist. In Lirr reinsnilun
mit diesem Erundsag= spricht das Pr. des Obertr. 2274, vom 14. Febr. 1851 auch aus, daß der Ad-
judikatar. dessen Zuschlag mit der Nichtigkeitsbeschwerde angesochten wird, nicht schon mit der Insinna-
tion der Nichtigkeitebeschwerde unredlicher Besitzer wird, vielmehr bis zu dem die Vernichtung ans-
sprechenden Urtel für einen redlichen Besitzer zu achten. (Entsch. Bd. XX, S. 106.) Der Aufangs-
termin ist, wenn der Implorat in der Audienz auwesend ist, der Tag der Verkündigung; wenn er
nicht gegenwärtig, der Tag der Insinnation des Umels; denn es komutt hierbei lodiglich auf die That-
sache der Kenntnißnahme au.