Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

322 Erster Theil. Siebenter Titel. 
der Geuieine geschehen, so wird die Redlichkeit oder Unredlichkeit des Besitzes der Ge- 
meine selbst nach den Vorschriften 88. 21, 22 beurtheilt. 
§. 35. Bei Sachen, wo nur die Substanz der ganzen Gemeine gehört, die Nu- 
tzungen aber unter die einzelnen Mitglieder vertheilt werden, sind die Rechte und Ver- 
bindlichkeiten eines jeden Mitgliedes, in Beziehung auf die Nutzungen, nur nach seiner 
eigenen Redlichkeit oder Unredlichkeit zu beurtheilen. 
§. 36. Wenn also die Sache selbst, wegen Unredlichkeit des Besitzes der Gemeine 
überhaupt, dem Eigenthümer zurückgegeben werden muß, so sind ihm, wegen sämmt- 
licher bisheriger Nutzungen, die unredlichen Mitglieder hauptsächlich verhaftet. 
§. 37. Können aber diese den Eigenthümer nicht entschädigen, so müssen auch 
die redlichen Besitzer, jedoch nur so weit, als dieselben aus diesen Nutzungen wirklich 
Vortheile gezogen haben, dem Eigenthümer gerecht werden 1½). 
  
dern auch durch die Mitglieder selbst (alle oder doch die —* mit der Wirkung der Erwerbun 
des Besitzes für die Gemeinde, in Besitz genommen werden. Pr. 1126. (Entsch. Bd. VIII, S. 3. 
Dieser Satz beruht auf Auslegung der L. 1, §s. 22 D. de scquir. vel amitt. poss. (XILI, 3), welche 
nur auf das patrimonium unlversitatis. nicht aber auf die res universitatis in specie, bei welchen Je- 
der für sich selbst und zu seinem eigenen Nußen den Besitz ergreise, sich beziehe; und die Auslegung 
wird hauptsächlich auf das „uni“ gebant. Dieses uni ist dabei aber unrichtig übersetzt und folglich die 
anze Stelle mißverstanden. Das Nähere in m. Beurtheilung der Entsch. S. 524 ff. S. auch die 
Anm. zu S. 44. Uebrigens ist das richtig, daß die Stelle sich nur auf das patrimonium unlversitatis 
bezieht, denn das R. R. kanute, außer dem ager publicus, keine res unlversitatis In specie. Daraus 
solgt jedoch gar nicht, daß der Besitz eines solchen Gemeinguts, welches in Privatgenuß genommen wird, 
anders als das Gemeingut im Gemeingenusse erworben werden könne. Denn der Genuß kann in al- 
leu Fällen erst nach der Erwerbung des Sesite ansangen, solglich muß die Gemeinde als solche schon 
im Besitze sich befinden, ehe die einzelnen Mitglieder derselben in den Pridatgenuß der Sache treten 
können. (5. A.) In keinem Falle können andere Ortseinwohner als Gemeindemitglieder, sofern sie nicht 
nach der allgemeinen Bestimmung des §. 45 d. T. zu Stellvertretern erwählt sind, durch ihre dahin 
zielenden Handlungen für die Gemeinde den Besitz erwerben. Erk. des Obertr. vom 8. Nov. 1864 
(Entsch. Bd. LIII, S. 16). 
18) Die §§. 35—37 beziehen sich, nach der Absicht der Verf. des L. R. und nach dem Wortlame, 
auf ros unkversitatis in specie sic dictas, deren Nutzungen unter die Mitglieder der Korporation ver- 
theilt sind, wie z. B.. Hütungen. Suarecz bemerkt hierzu: „Der Fall ist möglich, daß der Besit einer 
Gemeinde, als eine moralische Person betrachtet, unredlich ist, und gleichwohl einige Mitglieder der Ge- 
meinde ihren Theil der Nutzungen von der solchergestalt besessenen Sache redlicherweise gezogen haben. 
Wenun nun dem Eigenthümer die Sache restituirt werden muß, so kann er zugleich sructus poreoptos 
fordern, weil die Gemeinde qua talis in mala üde gewesen ist. Wer soll ihm alsdann diejenigen fructus 
erstatten, welche die redlichen Mitglieder bons üde bezogen haben? Der Text nimmt au, daß die un- 
redlichen Mitglieder dasür prinzipaliter haften müssen; in subsidium aber sollen ihm auch die redlichen 
Besitzer Ersatz leisten, so weit sie wirklich locupletiores geworden sind. Dies wird bezweifelt, weil ja 
ein redlicher Besitzer fructus perceptos et consumtos niemals restituiren dürfe; allein es ist hier der 
Fall einer Kollision vorhanden. Dem Eigenthümer wurde das Seinige von der Kommune mals fide 
vorenthalten; er hat also unstreitig ein Recht, solches cum fructibus perceptis zurückzufordern. Freilich 
tien auch die redlichen Mitglieder ihren Theil der Nutzungen bons lde genossen, und insoweit haben 
ie den Schutz der Gesetze für sich. Bei dieser Kollision aber erscheint es doch das Billigste, die Aus- 
nahme zu Gunsten des Eigenthümers zu machen, mit dessen Schaden die Mitglieder der unredlichen 
Kommune reicher geworden sind.“ Simon, Material., S. 228 u. 335. 
Durch die hiernach klaren Bestimmungen find folgende Anomalien geschaffen: 1. Es findet ein zwie- 
facher Besitz an den Sachen ur Rede statt: ein Sachbesitz der juristischen Person (Korporation), und 
ein Besitz der Mitglieder derselben als Einzelner (Mitbesitz Mehrerer) an dem Nutzungsrechte. 2. Der 
vindizirende Eigenthümer muß wegen Herausgabe der Sache die juristische Person, und wegen Heraus- 
gabe der Nutzungen die einzelnen physischen Personen belangen. 3. Die unredlichen Personen sollen 
nicht allein die für ihren Antheil gezogenen Nutzungen herausgeben, sondern auch dicjenigen Nutzungen, 
welche die redlichen Mitbesitzer gezogen haben, ersetzen. 4. Die redlichen Mitbesitzer sollen, um Wider- 
spruche mit dem Grundsatze des §F. 189 d. T., falls die unredlichen Mitbesitzer nicht aufzukommen ver- 
mögen, die für ihren Theil gewonnenen Nutzmigen herausgeben, soweit sie dadurch reicher geworden sind. 
5. Dem vindizirenden Eigenthümer gegenüber ist, nach dem regelmäßigen Rechte, nur Ein Besitzer, die 
juristische Person, vorhanden, von welcher er seine Sache cum omni causa abzufordern berechtigt ist, 
ohne daß es ihn berührt, wie die Nutzungen verwendet worden sind, was die „Fotge hat, daß die be- 
klagte Korporation die ihm nach Beschaffenheit ihres Besitzes zuzusprechenden Früchte auszubringen hat.
	        
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