Von Gewahrsam und Besitz. 339
§. 88. Mitbesitzer gemeinschaftlicher Sachen werden durch ihre Handlungen, Un= rwertunz
terlassungen, oder Duldungen nur auf ihren Antheil verpflichtet. endo es
§. 89. Ist die Sache, auf welche der Besitz eines Rechts erworben werden soll,
an sich untheilbar, oder sind die Mitbesitzer derselben in ungetheiltem Besitze, so kann
einer von ihnen durch seine Handlungen oder Duldungen dem Andem nichts vergeben.
§. 90. Durch Handlungen oder Leistungen einzelner Mitglieder einer Gemeine ialonderdet
wird der Besitz des Rechts, von der Gemeine etwas zu fordem (eines affinnativen kenshtarn 1
Rechts), nicht erworben. und Geme
§. 91. Soweit die Einwilligung eines Theils der Gemeine, ihrer Repräsentan-
ten, Vorsteher oder Bevollmächtigten, zur Verpflichtung der ganzen Gemeine bei Ver-
trägen binreicht 36), soweit wird durch die Handlungen und Leistungen dieser Personen,
auch der Besitz eines affirmativen Rechts gegen die Gemeine erlangt.
§. 92. Der Besitz der Befugniß, einer Gemeine die femere Ausübung eines ge-
meinschaftlich ausgeübten Rechts zu untersagen, wird gegen sie nur in soweit erwor-
ben, als alle Mitglieder dem Verbote Folge leisten.
§. 93. Der Besitz des Rechtes, etwas zu thun (eines negativen Rechts), wird
gegen eine Gemeine nur alsdann erlangt, wenn keines ihrer Mitglieder der Ausübung
widersprochen hat 2###%
§5. 94. In beiden Fällen, §S§. 92, 93, kann also auch ein einzelnes Mitglied,
wenn es gleich weder zu den Repräsentanten, noch Vorstehern oder Beamten gehört,
durch seine entgegengesetzte Handlung, oder durch seinen Widerspruch, die Besitzergrei-
fung gegen die Gemeine hindern.
§. 95. Dagegen kann eine Gemeine, welche nach ergangenem Verbote eine Hand-
lung unterlassen, oder der Handlung des Besitzergreifenden nicht widersprochen hat,
den Mangel der Wissenschaft nicht vorschützen, sobald das Verbot oder die Handlung
zur Kenntniß ihrer Repräsentanten oder Vorjeeher gelaugt ist.
§. 96. Durch Handlungen unerlaubter Privatgewalt kann der Besitz einer Sache 3 e
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56) Hieraus erhellet, daß die Handlungen und Leistungen durch einen verfassungsmäßigen Be-
schluß der Korporation oder deren Repräsentanten bewilligt worden sein müssen, wenn dadurch der
Besitz gegen die Gemeine erworben werden soll. Ein stillschweigender Konsens der juristischen Person
in der Art, daß die Aussorderung an die Vorsteher ergeht, und darauf, ohne Weiteres, von Ein-
zelnen ohne Widerspruch anderer Mitglieder, geleistet wird, ist nicht denkbar, weil die fingirte (in-
ristische) Person gar keinen Willen haben kann, außer in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen. Ein
Geistlicher kiagte gegen eine Gemeinde auf fortwährende Entrichtung von s. g. Grundzinsen, behaup-
ten, daß seit 30 Jahren die Abgabe (an die bezeichnete Fundation) durch den Ortsvorsteber enrrichtet
und dieses in den Gemeinderechnungen nachgewiesen sei. Die Abgabe sollte also durch Ersitzung er.-
worben sein. Grundstücke besaß die Gemeinde gar nicht. Die Abgabe kam in der Rechnung vor, aber
die Gemeinde als solche hatte davon nie Kenmniß genommen: es war eine Gabe einzelner Einwoh-
ner gewesen, welche der Vorsteher gesammelt und abgeführt hatte. Gegen die Gemeinde hatte hier-
durch gar keine Ersitzung begründet werden können.
56 °5) (4. A.) Zur Erwerbung des Besitzes des Rechtes zur ausschließlichen Benutzung einer Kir-
cheustelle ist erforderlich, daß keines der Mitglieder der Kirchengemeinde widersprochen, oder daß alle
x dem Verbote Folge geleistet haben. Erk. des Obertr. v. 21. Dezbr. 1853 (Arch. f. Rechtsf.
d. XI. S. 176).
57) Anfangs beabsichtigten die Verf., die in den §§. 96 ff. enthaltenen Bestimmungen nur in
Beziehung auf den Rechtsbest zu geben. In Folge der eingegangenen Monita aber bemerkte Sua-
rez bei deren Revision: „Einige (monita) betreffen bloß das Arrangement der Materien, wobei es
seine Richtgeeit hat, daß — die vitis der Besitzergreifung, welche vi, clam oder precario geschicht,
nicht bloß bei Rechten, sondern auch bei körperlichen Sachen vorkommen, und also die 88. —, welche
boß von Besitzuehmung der Rechte handein, generalisirt werden müssen.“ Simon, Materialien,
265.
Was die Bedentung der Bestimmungen in den §§. 96 — 98 detrifft, so ist nicht zu verkennen,
daß ein Besitz, welcher vi, clam vel precario ergriffen worden ist, als Besitz nicht anerkannt wird,
doch nicht in dem Sinne, daß der Besitzer ungeschiitzt jeder Störung ausgesetzt wäre, da gegen solche
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