Bon Gewahrsam und Besitz. 355
§. 156. Bei der diesfälligen Bestimmung muß der Richter auf die allgemeinen
Grundsätze von der Kollision der Rechte Rücksicht nehmen. (Einleitung §. 102 sdq.)9 U).
S. 157. Sind die Umstände so beschaffen, daß aus dem einstweiligen Besitze des
Einen dem Andern gar kein Schaden entstehen würde, so muß vorzüglich dieser im
Besitz bis zum Austrage der Sache gelassen?7) werden.
§. 158. Außerdem muß der Richter darauf sehen: welcher von den streitenden
Theilen dem Andem auf den Fall, wenn derselbe für den rechtmäßigen Besitzer erklärt
würde, für den aus der Vorenthaltung des Besitzes entstandenen Schaden?) gerecht
zu werden, am besten im Stande sei.
8. 159. Ist für den obsiegenden Theil ein unersetzlicher Schade zu besorgen, wenn
der Andere, bis zur endlichen Entscheidung, die Rechte des Besitzes ausüben sollte, so
muß die Sache in gerichtiche Verwahrung?") genommen werden.
§. 160. Ein Gleiches kann alsdann geschehen, wenn der Richter findet, daß aus
der einstweiligen Einräumung des Besitzes an Einen Theil Gewaltthätigkeiten, welche
die öffentliche Ruhe und Sicherheit in Gefahr setzen, entstehen dürften.
5. 161. Gegen den, welcher den Besitz einer Sache oder eines Rechtes weder durch
Gewalt, noch heimlich, mit List, oder bloß bittweise überkommen hat. kann der vo-
rige Besitzer auf Wiederherstellung des Besitzes nur in sofem klagen, als er ein besseres
Recht zum Besitze nachzuweisen gear o
5. 162. Der bloße Inhaber kann die seiner Gewahrsam entkommene Sache nur
von demjenigen, der sie ohne allen Rechtsgrund im Besitze hat, zurückforderm).
96) Muß heißen „S#§. 95 sqq.“ R. v. 14. Juli u. v. 29. Dez. 1837 (Jahrb. Bd. L. S. 469).
97) Borausgesetzt ist mithin, daß beide Theile Besitzhandlungen ausgeübt haben und im Besitze
zu sein behaupten.
98) Diese Schädenklage gründet sich lediglich in der Besitzstörung und ist materiell die Besitzklage,
welche nicht bloß die Wiederherstellung des ruhigen Besitzes, sondern auch die durch Entziehung oder
Störung des Besitzes verursachten Schäden zum Gegenstande hat. Nur das Possessorium als eine
besondere Prozeßform ist nicht anwendbar. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Besiystand bloß vor-
läufig auf Grund des §. 158 regulirt ist, gegen den in dieser Sache unterliegenden Theil. Pr. des
Obertr. vom 30. April 1833 (Simon, Allchtofrr.) Bd. 111, S. 243).
c40%4r Diese hat, je nach Beschaffenheit des Gegenstaudes, die Form des Depositum oder der Se-
questration.
100) Vergl. §88. 170 u. 176 d. T. Actio Publiciana Auch gegen den, welcher sich den Besitz
eines negativen Rechtes (Servitut) auf die Sache anmaßt, kann der Besitzer unter der Voraussetzung,
daß er auf die Sache ein jus potius als der Prätendeut auf den Rechtobesitz bat, mit dieser Klage
negatorisch klagen und er hat, wenn ihm der Beklagte das Cigenthum bestreitet, diesem gegenüber nicht
sein Eigenthum zu beweisen; es genügt zu seiner Legitimanon, daß er sich im vollstäudigen Besitze
befindet. Pr. des Obertr. 2008, vom 29. April 1848. (Entsch. Bd. XVII. S. 110.) Eben so kann
er umgekehrt konfessorisch klagen und namentlich auch die s. g. gesetzlichen Servituten geltend machen.
Unten Anm. 99/ zu §. 140, Tit. S8. — Das Ersorderniß des justus titulus, welches nach R. R.
zur Begründung dieser Klage gehörte, fällt nach den Grundsätzen des A. L. R. bei allen Anwendungen
dieses Klagerechts weg. #
(4. A.) Eine Auwendung dieses Klagerechtes macht das Obertr. in dem Erk. vom 11. Juni 1861
(Entsch. Bd. XLVI, S. 59 u. Arch. f. Rechtef. Bd. XLII, S. 115). Die beiden Instanzgerichte hat-
ten den Kläger abgewiesen, weil sie auf dessen Behanptung, daß der fragliche Teich, bevor derselbe
von dem Beklagten trocken gelegt und dessen Tieffläche in Besitz genommen wurde, stets als sein Ei-
genthum behandelt worden, nicht hatten eingehen wollen, indem darin die Behauptung einer stattge-
habten Verjährung nicht zu finden sei. Das auf einem fehlerfreien Besitze beruhende Recht des
Besitzec hatte also bei ihnen keine Anerkennung gesunden. Deshalb wurde das Appellationsurtheil
vernichtet und die Verhandlung über jene Behauptung angeorduct.
1) Die §§. 162 u. 163 handeln von der Legitimation zur Klage auf Wiedererlangung der Sache
außer dem Falle einer sehlerhaften Enzziehung der Gewahrsam, also von dem Gedrauche der analogen
Bindikation (actio Publicisna). Ob dem bloßen Inhaber die Klage zustehe, kommt auf die besondere
Beschaffenheit des Falles an. Der Dieb, welcher doch auch ein Inhaber der geslohlenen Sache ist,
kann die Sache, wenn er sie verliert, von dem Finder nicht absordern. Tit. 9, F. 60. Der Stell-
vertreter ist sowohl als Beaustragter aus seinem Rechtsverhältnisse zum Besitzer zur Verfolgung der
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Verhöältnisse
wischen dem
nhader und
dem, welcher
ein Recht zum
Besitze hat.