256 Erster Theil. Fünfter Titel.
§. 272. In wiefem der, welcher auf Erfüllung anträgt, inzwischen für das,
was er leisten soll, Sicherheit bestellen, oder das, was er zu geben hat, gerichtlich
ständig. (5. A.) In keinem Falle bedarf es zur Begründung der Klage nach §. 271 der Behaup-
tung und des Beweisantrittes darüber, daß der Kläger seinerseits gehörig zu erfüllen im Stande sei;
vielmehr steht dem Beklagten nur diese Einrede zu, die er zu beweisen hat. Erk. des Obertrib. vom
9. Juni 1863 (Arch. f. Rechrsf. Bd. L, S. 95).
II. Was die Anwendung des §. 271 betrifft, so findet solche überhaupt nicht auf die Klage aus
g. 122 und I, 10, §F. 17 wegen Errichtung eines förmlichen Instrumentes statt. Dann hat aber auch
der Satz des §S. 271 keine allgemeine Gültigkeit, vielmehr gilt er nur von einer einzigen Klasse zwei-
seitiger Verträge, nämlich derjenigen, welche auf beiden Seiten durch eine einmalige Leistung erfüllt
werden konnen. Nur aus diesen Verträgen bedingen sich die beiderseitigen Forderungen, wenn die Na-
turalien nicht abgcändert worden sind, gegenseitig. Bei allen denjenigen zweiseitigen Verträgen hinge-
gen, welche durch fortgesetzte Leistung während eines gewissen Zeitraume erfüllt werden, muß der Eine
vorleisten, und dieser kann unmöglich die besprochene Einrede haben. Nur dem anderen Theile steht sie zu.
III. Die Wirkung der Einrede ist in der Regel eine Abweisung der Klage zur Zeit. Meinungs-
verschiedenheit hat sich auch darüber heworgethan: ob diese Wirkung immer auf gleiche Weise eintrete,
sei es, daß der Kläger noch gar nicht, oder nur unvollständig oder mangelhaft erfüllt, oder auch nur
noch wegen Gewährsmängel zu genügen habe. Der letzte Umstand gehört an sich schon gar nicht hier-
her, denn dieserhalb steht ciue ganz andere Einrede, nämlich die exc. imminentis evictionis, auch eine
exe. doli, die aber andere Wirkungen hat — zu. (4. A. Der Grundsatz ist angewendet in dem Erk.
des Obertr. vom 2. Nov. 1849 und vom 22. Mai 1851 (Arch. f. Rechtsf. Bd. 1. S. 6 und Bd. 111,
S. 300). Nur wegen gänzlicher oder theilweiser Nichtleistung ist die Einrede aus unserem §. 271 ge-
geben, J3. B. wenn mchrer Gegenstände für einen ungetheilten Preis verkauft sind, und der Haupt-
gegenstand nicht gewährt wird: dann findet gegen den Käufer auch wegen der Übrigen verkauften Ge-
enstände die Klage auf Erfüllung nicht statt. Erk. des Obertr. v. 9. Sept. 1851 (Arch. f., Rechtef.
G. III, S. 65). Ist die Erfüllung ganz unterblieben, so leuchtet die gänzliche Unzulässigkeit der Klage
zur Zeit ein. Der Zweifel bezieht sich auf den Fall, wenn zum Theil oder in dem Hauptgegenstande
erfüllt worden ist und der Beklagte seine Einrede auf Mängel gründet. Nach einer Meinung son auch
dann die Klage zurückgewiesen werden. Das entspricht nicht der Gleichheit der Rechte beider Theile:
wer die nüebergate einmal in der geleisteten Art angenommen hat, kaun den Geber nicht für alle Zeit
mit jener Einrede ganz zurückweisen, sondern muß auch seinerseits in tantum leisten, weil er rechts-
grundsätzlich eben nicht mehr als Ersatz für den Abgang zu fordern hat (5. 395 d. T.), was er mit die-
ser Einrede erreichen kann, wenn der Geber mehr sordert, als ihm nach Maßgabe semer Leistung zu-
komnn. Diesen Grundsätzen entspricht die Praxis im Wesentlichen, nach solgenden Rechtsanwendungen:
1. Auf den Fall, weun in der Hauptsache erfüllt worden ist.
a) Die Vorschrift F. 271 findet in ihrem ganzen Umfange nur auf Verträge Anwendung, deren
Erfüllung noch geschehen soll. Ist aber der Vertrag seinem Hauptinhalte nach erfüllt, und es werden
nur wechselseitige und fällige von einander unabhängige Nebenleistungen oder fortlaufende Verbindlich-
keiten gesordert, so berechuigt diese Vorschrift bei Echamigen Leistungen nur zur Kompensation, bei
ungleichartigen zu dem Amrage auf Erfüllung derselben Zug um Zug, folglich nicht zu einer gänz-
lichen Verweigerung, sondern nur zur Zurüccholtung eines verhältuißmäßigen. Theiles der eingeklagten
Leistung. Pr. 857, v. 14. März 1840. (Der Fall betraf Forderungen aus einem längst vollzogenen
Erbpachtskontrakte.) (Emsch. Bd. VI, S. 56.) (5. A.) Ein Zurückbehaltungsrecht im Siune des §. 536,
Tit. 20 meint das Pr. nicht, es nimmn das Wort „Zurückhaltung“ in seiner wenesten Bedeutung. Erk.
des Obertr. vom 18. April 1864 (Archiv f. Rechtsf. Bd. I.IV., S. 91). (1. A.) Der Grundsatz gilt
auch bei Verträgen über ein bestelltes Werk. Erk. des Obertr. vom 6. Mai 1852 (Archiv f. Rechtef.
Bd. VI. S. 140). — Und bei Milchpachtverträgeu. Erk. vom 13. Februar 1854 (Archiv f. Rechtef.
Bd. XII S. 1235).
b) Wenn der Bertrag von Seiten desjenigen, der eine Gegenleistung einklagt, in der Hauptsache
erfüllt, und die Erfüllung von dem anderen Kontrahenten angenommen worden, dieser aber behauptet,
daß der Kläger allen seinen kontraktlichen Verbindlichkeiten noch nicht nachgekommen sei, und über den
Sinn und den Umfang der gedachten Berbindlichkeit unter den Parteien Streit entsteht, kann die Vor-
schrift des §. 271 nicht Veraulassung geben, den Kläger zur Zeit abzuweisen; vielmehr muß der
obwaltende Streit im Urtel entschieden und bestinmt werden, was der Kläger noch zu erfüllen, und der
Beklagte noch zu leisten hat. Pr. 1174, v. 5. August 1842 (Entsch. Bd. VIII, S. 229).
Jc) Wenn der Vertrag von Seiten desjenigen, welcher die Gegenleistung fordert, in der Hauptsache
erfüllt, und diese Erfüllung von der anderen Seite angenommen worden, so kann von dieser Seite der
Auspruch durch die Behauptung, daß der übergebenen Sache die vorbedungenen Eigenschaften gefehlt
haben, und durch Berufung auf den §. 271 nicht abgelehnt, es muß vielmehr der aus dem Mangel
vorbedungener Eigeuschaft abgeleitete Entschädigungsanspruch besonders begründet und nachgewiesen wer-
den. Pr. 978, v. 6. Febr. 1841. Auch Pr. v. 7. Mai 1847 (Arch. f. Rechtsf. Bd. 1, S. 154), und
vom 22. Mai 1856 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XXI, S. 200).