Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Denkschrifi 
der 
Regierungs- 
Parteien 
über die 
Monarchie 
600 DIE GROSSEN PARTEIEN WARNEN 
Millerand führte zu einer Begegnung zwischen mir und dem sozialistischen 
Abgeordneten von Vollmar. Dieser, der damals den gemäßigten Flügel der 
Sozialisten, die sogenannten Revisionisten, führte, bat mich um eine 
Unterredung, die ich ihm gern gewährte. Ich empfing von ihm den Eindruck 
eines nicht nur gescheiten, sondern auch ehrlichen und charaktervollen 
Mannes, mit dem, unbeschadet der beiderseitigen Grundsätze, eine prak- 
tische Verständigung wohl möglich war. Den Anfang mußte freilich die 
Ernennung von Parlamentariern aus verschiedenen Parteien zu Ministern 
bilden, wozu sich der Kaiser in der Besorgnis, in seiner Ellbogenfreiheit, in 
seinem persönlichen Auftreten, seinen Reden und Reisen, seinen abrupten 
Entscheidungen und extemporierten Ansprachen eingeengt und beschränkt 
zu werden, selbst nach meinem Wahlsiege vom Januar 1907 nicht ent- 
schließen konnte. Über meine Unterhaltung mit Herrn von Vollmar 
bewahrte ich natürlich Schweigen. Bebel scheint aber doch irgendwie 
dabintergekommen zu sein, denn an einem der nächsten Tage erklärte er 
in einer seiner längsten Reden mit einem grimmigen Blick auf Vollmar, er 
würde nie erlauben, daß ein Sozialdemokrat ohne ganz bestimmte Garan- 
tien und anders als unter ganz bestimmten Bedingungen ein Minister- 
Portefeuille übernähme. 
Nach dem vorläufigen Abschluß dieser in vieler Hinsicht nicht nur uner- 
quicklichen, sondern auch bedenklichen Kaiser-Debatten erschienen bei 
mir die Vertreter der drei Parteien, die gemeinsam den Zolltarif zustande 
gebracht hatten: Graf Hompesch für das Zentrum, Graf Limburg-Stirum 
für die Konservativen, Emst Bassermann für die Nationalliberalen, 
Männer deren monarchische Gesinnung über jeden Zweifel erhaben war. 
Sie überreichten mir eine Denkschrift, in der ausgeführt war, daß die Unbe- 
sonnenheit Wilhelms II. in Reden und Auftreten für die Monarchie eine 
große Gefahr bedeute. Sie zweifelten nicht an dem guten Willen des Kaisers, 
noch an seinen besten Absichten. Durch seine Überhebung wie durch seine 
Entgleisungen untergrabe er aber Ansehen und Zukunft der Monarchie. 
Ich möge dafür sorgen, daß sich der Kaiser größere Zurückhaltung auferlege 
und größerer Vorsicht befleißige. Ich erklärte den Herren, daß ich bei voller 
Würdigung ihrer loyalen und patriotischen Gesinnungen und Absichten 
ihre Denkschrift nicht entgegennehmen könne. Es würde das weder meinem 
monarchischen Empfinden noch der traditionellen Stellung der Monarchie 
in Deutschland noch dem Geist unserer Verfassung entsprechen. Ich würde 
aber im Sinne ihrer Vorstellungen ernst und nachdrücklich mit Seiner 
Majestät sprechen. Die Herren erklärten mir aus eigener Initiative, daß 
. über ihre Demarche nichts in die Öffentlichkeit gelangen werde. Da ich 
wußte, daß meine schriftlichen Vorstellungen auf den Kaiser nachhaltigeren 
Eindruck machten als mündliche, so richtete ich am nächsten Tage einen
	        
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