Full text: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. Erster Theil, Erster Band. (1)

82 Erster Theil. Erster Titel. 
§. 29. Rasende und Wahnsinnige werden, in Ansehung der von dem Unter- 
schiede des Alters abhangenden Rechte, den Kindern, Blödsinnige aber den Unmündi- 
gen gleichgeachtet 27). 
§. 30. Verschwender sind, welche durch unbesonnene und unnütze Ausgaben oder 
durch muthwillige Vemachlässigung ihr Vermögen beträchtlich vermindem :7), oder 
sich in Schulden stecken 75). 
  
Vorstellung oder Beurtheilung; bei dem Blödsinnigen hingegen ruht die Seelenthätigkeit, nach dem 
Grade der Krankheit, mehr oder weniger. Ein Urtheil, welches cine Person für wahnsinnig und zu- 
leich für blödsinnig erklärte, wäre widersinnig, der Betroffene könnte nur für wahnfinnig gelten. — 
icWahnsinn ist nach seinem Berlause entweder anhaltend oder periodisch, und nach seiner Erschei- 
nungsweise entweder allgemein oder beschränkt (theilweise, fix); jede dieser verschiedenen Arren nimmt 
dem Kranken in der Zeit oder in dem Bereiche seiner Wirksamkeit, den Gebrauch der Vernunft gang. 
Dies ist der Sinn des §. 27. (4. A. Demgemäß muß auch ein nur partiell Wahnsinniger für wahn- 
sinnig erklärt und bevormundet werden. Vergl. Erk. des Obertr. v. 27. Februar 1860. Archio für 
Rechtsf. Bd. XXXVI. S. 236.) Außerdem will die ärzuiche Wissenschaft einen wesentlichen Unterschied 
zwischen dem allgemeinen und theilweisen Wahnsinne (nicht zu verwechseln mit dem anhaltenden und 
periodischen) nicht gelten lassen. Mende S. 152. — Die Tollheit zeigt sich als Regellosigkeit und 
Verwirrung in allen Aeußerungen der Seelenthätigkeit, entweder in der Form der Willenlofigkeit, bei 
völliger Unklarheu der Vorstellungen und Unbestimmtheit aller Empfindungen (stille Tollheit), oder 
als Uebermaß des Willens ohne alle vernünftige Bestimmung und Richtung desselben, bald in Unstä- 
tigkeit, sinnloser Geschwätzigkeit, Lachen und Weinen ohne Ursache (Faselei), bald in wildem Toben X. 
(Raserei). Mende S. 140, 164 ff. Nur der letzten Krankheitssorm geschieht im F. 27 Erwähnung, 
die übrigen Arten der Tollheit zählen zum Wahnsinne. Das ist auch gleichgültig, denn alle diese 
krankhaften Acußerungen der Seelenthätigkeit haben das Gemeinsame, daß dabei der Leidende ganz ver- 
nunstlos ist. — Von der Vernunftlosigkeit unterscheidet man zwar die bioße Dummheit und die bloße 
Geistesschwäche, doch gehen diese Zustände in ihrem höchsten Grade unmerklich in Stumpffinn (ein 
niederer Grad des Blödsinnes) über. 
27) Nach R. R. unterliegen alle diese krankhaften Seelenzustände einer gleichen juristischen Be- 
urtheilung (L. 25 C. de nupt. V. 40. Die Rechtfertigung dafür ist die, allen Seelenkrankheiten ge- 
meinsame, Wirkung, daß dem Leidenden bezichungsweise oder gänzlich das Vermögen fehlt, sich nach 
Vernunftgründen zu bestimmen und vernünftig zu denken, zu wollen und zu handeln. Dergleichen 
Geisteskranke sind völlig rechtssähig, aber banditungunsähig. (6 8 J. de inutil. stipul. III, 19; L. 40. 
L. 5 D. de reg. jur. L, 17.) Hierin findet sich völlige Uebereinstimmung des L. R. mit dem R. N. 
Nur die im S§. 29 angedeutete Abstufung der Handlungsunsähigkeit ist beliebt worden. Sie hat keinen 
inneren Grund und eine nur geringe praktische Bedeutung. Alle Geisteskranken sind unfähig, in Rechte- 
verhältnisse zu treten, wozu ihre cigene Willenserklärung erforderlich ist, wie z. B. Ehe, Adoption, 
deun sie haben gar keinen Willen. Die schon bestehenden Verhältnisse dieser Art bleiben selbstverständ- 
lich unberührt durch den Eintritt solcher Krankheit. Vergl. L. 8 pr. D. de his qui sui vel alien! 
zuris (I, 6). 
27 ) (4é. A.) Eine Verminderung des angefallenen Vermögens ist es anch, wenn der ohne Zu- 
thun des Provokaten entstandene Mehrwerth durch Aufnahme von Schulden wieder absorbirt worden. 
Erk. des Obertr. vom 11. Januar 1858 (Arch. f. Rechisf. Bd. XXIX, S. 24). 
28) Der gemeine Sprachgebrauch bezeichnet den Fehler, welcher der Kargheit entgegensteht — 
das Uebermaß im Geben — als Verschwendung. Dieser Begriff ist unbrauchbar für den juri- 
stischen Gebrauch. Ein sehr reicher Mann kann alle seine ungeheueren Einkünfte durch Luxus, Schwel- 
erei, Spiel, Freigebigkeit verschwenden, er wird dadurch keinem das Recht Feen, ihn in seiner 
erfügung über das Seine einzuschränken; denn er hat ja keine Verbindlichkeit, Reichthlmer für An- 
dere zu haufen. Wer aber durch dergleichen Verbrauch die Besorgniß begründet, daß er das Seine 
erschöpfen und zuletzt Anderen zur Last fallen könnte, der berechtigt die Ersellschk, ihm Grenzen zu 
setzen. Damit sind die Merkmale des Begriffs der Verschwendung im juristischen Sinne gegeben, 
welche der §. 30 andeutet. Das Vermögen muß 1. vermindert, und 2. beträchtlich vermin- 
dert werden. Um dies darzulegen, muß man den Vermögenzzustand von zwei verschiedenen Zeitpunk- 
teu vergleichen. Dazu sind zwei Vermögensübersichten aus verschiedenen Zeiten erforderlich. Die dar- 
aus ersichtliche Verminderung muß im Verhalenisse zu dem früheren Bestaude bedemend sein. Dar- 
über entscheidet das richterliche Ermessen. Die Verminderung darf nicht durch mißlungene Wirth- 
schasteanlagen, verunglückte Unternehmungen, Verluste im Verkehre entstanden sein, vielmehr muß die 
Urfache davon sein: 1. unbesonnene und zugleich unnütze Ausgaben, wozu auch Spiel, Wetten und 
nnentgeltliche Veräußerungen und Verschleuderungen weit unter dem Werthe gehören 2. muthwillige 
Vernachlässigung der Wirthschaft und Verwaltung, etwa aus Faulheit, Liederlichken, Trunksucht; 
3. Verschuldung zu unnützen Zwecken oder durch sertgeserne Beschädigungen Anderer, durch Prozeß-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.