Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

286. Das Schatzgewölbe auf dem Hohen Steine. 
(Joh. Böhm in der Erzgebirgs-Zeitung, 2. Jahrg., S. 130 und 132.) 
Auf dem Hohen Steine zwischen Graslitz und Markneukirchen ist 
eine Schatzkammer, deren Eingang sich in der Nähe des sogenannten 
Franzosensteins, eines prismatisch zubehauenen Granitblocks mit der 
Jahreszahl 1808, befindet. Die Pforten zu der Schatzkammer sollen 
sich alljährlich am Karfreitage, während in der Kirche die Passion ge— 
sungen wird, öffnen. 
Ein armes Weib aus dem naheliegenden Orte Stein nahm ihr 
einjähriges Kind, welches sie niemandem der Obhut anvertrauen konnte, 
und begab sich an einem Karfreitage mit demselben in den Wald 
am Hohen Stein, um „Holz zu klauben.“ Schon hatte sie davon 
eine ziemliche Menge beisammen, als sie plötzlich in einem Felsen 
eine weite Offnung bemerkte, welche von ihr früher niemals gesehen 
worden war. Verwundert darüber nahm sie ihr Kind, welches unter- 
dessen auf weichem Moose gesessen, auf den Arm und faßte den Ent- 
schluß, das seltsame Thor näher zu betrachten. Hinzugetreten und in 
die gähnende Höhlung hineinblickend, sah sie zu ihrem Erstaunen in 
derselben Haufen rotwangige Apfel, eine große Menge gleißendes Geld 
und funkelnde Edelsteine, ferner auf einem Tische ein Bund altertüm- 
licher Schlüssel. Nachdem das Weib schnell seinen Korb herbeigeholt 
und das Kind zu den Apfeln gesetzt hatte, mit dem Bedeuten, es möge 
davon essen, fing sie an, von den reichen Schätzen in ihren Korb zu 
raffen, bis dieser nichts mehr tragen konnte. Im Begriffe hinauszu- 
gehen, um ihre schwere Last draußen abzusetzen und hierauf ihr Kind 
zu holen, hörte sie eine Stimme rufen: „Vergiß das Beste nicht!“ Doch 
sie konnte den Sinn dieser Worte nicht deuten und begab sich ins Freie. 
Kaum war dieses geschehen, so schloß sich hinter ihr der Felsen ge- 
räuschlos und so sehr auch das Weib jammerte und weinte, um ihr 
verlornes Kind bat und flehte, der Eingang war und blieb ver- 
schwunden. Todmüde und tiefbetrübt wankte sie endlich ihrer armseligen 
Hütte zu, laut und heftig ihre Habsucht und Geldgier verwünschend. 
Es verging ein Jahr und die hartgeprüfte Mutter lenkte, das nicht 
angetastete Geld im Korbe tragend, am Karfreitage zu derselben 
Stunde wie vor zwölf Monaten ihre Schritte dem hohen Steine zu. 
Und siehe dal der Eingang zur Schatzkammer stand offen, und als sie 
klopfenden Herzens und froher Hoffnung näher getreten war, sah sie 
zu ihrer unaussprechlichen Freude ihr totgeglaubtes Kind frisch und 
gesund, sowie kräftig herangewachsen auf derselben Stelle, auf welche 
sie es im Vorjahre gesetzt hatte. Schnell schüttete sie das Geld wieder 
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