an seinen Ort, nahm das Kind und machte sich eilig davon, 4rnl
sie neuerdings rufen hörte: „Vergiß das Beste nicht!“ Auf dem Heim-
wege fragte sie ihr Kind, wer es gepflegt habe. „Eine weiße, freund-
liche Frau,“ antwortete dieses, „gab mir zu essen und zu trinken, klei-
dete und bewachte mich.“ — Hätte das Weib den Schlüsselbund mit-
genommen, so würde sich ihr der Felsen jederzeit geöffnet und seine
Schätze dargeboten haben. Das war das Beste, welches die Stimme
meinte.
Die genannte weiße Frau ließ sich früher, meist zur Mittagsszeit,
häufig in der Nähe des Hohen Steines sehen, den Bund mit altertüm-
lichen Schlüsseln in der Rechten tragend. Sie that niemandem ein Leid,
im Gegenteil, manchen würde sie reich gemacht haben, wenn er nicht
unwissend und leichtsinnig die dargebotenen Geschenke von sich gewiesen
hätte.
Ein Waltersgrüner Knecht machte sich in später Nachtstunde auf
den Weg, um einer dringenden Angelegenheit halber nach Stein zu ge-
langen. Bei der untern Mühle verließ er den Fahrweg und schlug
einen schmalen Fußpfad ein, der am Abhange des Hohen Steines da-
hinführt, und auf dem er, wie er glaubte, in kürzerer Zeit an den
Ort seiner Bestimmung gelangen konnte. Allein die große Dunkelheit
der Nacht und das arge Wetter waren Ursache, daß er vom rechten
Steige abkam und lange Zeit in der Irre herumging. Endlich sah er
zu seiner Freude ein Licht schimmern, und er verdoppelte seine Schritte
in der Meinung, zu einem gastlichen Hause gelangen zu können. Wie
groß war aber sein Erstaunen, als er statt der Flur eines solchen
einen breiten Gang betrat, an dessen Ende von der Decke eine strahlende
Lampe herabhing, die ungeheuere Schätze von Gold und Edelsteinen
aller Art beleuchtete. Nachdem der Knecht eine starke Anwandlung von
Furcht bekämpft hatte, da er außer den köstlichen Reichtümern noch eine
weiße Frau bemerkte, welche jene zu hüten schien, trat er näher und
betrachtete mit lebhaftem Verlangen das gleißende Gold und die funkeln-
den Juwelen. Die weiße Frau schien seine Gedanken zu erraten, denn
sie erhob ihren rechten schneeigen Arm, deutete mit dem Zeigefinger
auf die Schätze und sprach: „Nimm davon, soviel dein Herz begehrt;
aber vergiß das Beste nicht!“ Das letztere glaubte er unter den Edel-
steinen zu finden und raffte mit gierigen Händen in seine Taschen, so
viel diese fassen konnten. Noch zweimal trafen jene Worte sein Ohr;
allein er achtete nicht darauf und verließ frohen Sinnes über den ge-
wonnenen Reichtum den hohen und breiten Gang. Kaum war er im
Freien, als sich der Eingang zu demselben donnernd schloß und eine
dumpfe Stimme sprach: „Thor, das Beste war der Schlüssel, den Du
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