Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
1 309. Der erlöste Herr auf dem Braunsteine bei Joachimsthal. 
(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 41.) 
Geht der Wanderer von Schlackenwerth durch das enge, anmutige 
Weseritzthal nach Joachimsthal, und klettert er, bei der sogenannten Peter- 
mühle (Schöffl-Mühle) angekommen, zur Rechten am reichbewaldeten 
Bergabhange empor, so gelangt er zum Braunstein, einem Bergkegel, 
welcher vor einigen Jahren mit Wald gekrönt war, jetzt aber nahezu 
gänzlich abgeholzt ist. — Auf dem Braunsteine stand, wie der Volks- 
mund erzählt, in uralten Zeiten ein Schloß, dessen Nähe jeder Um- 
wohner scheute. Obgleich es unbewohnt war, sah man doch in stürmi- 
schen, finstern Nächten die Fenster des Schlosses prachtvoll beleuchtet, 
und mancher Pilgrim, der dasselbe aus Neugierde betrat, kehrte nicht 
mehr zurück. — Trotz alledem schlug einmal ein herzhafter Handwerks- 
bursche alle Warnungen in den Wind und lenkte eines Abends, als 
die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, seine Schritte dem 
gefürchteten Schlosse zu, um dort zu übernachten. Ringsumher herrschte 
tiefes Schweigen. Er stieg die Treppe empor, schritt durch das hohe 
Portal ungehindert fürbaß und gelangte in einen geräumigen, tageshell 
erleuchteten Saal, in welchem eine lange Tafel stand. An dieser nahm 
er Platz und verfiel allmählich gegen seinen Willen in einen festen Schlaf. 
Um die Mitternachtsstunde aber weckte den Handwerksburschen ein hef- 
tiges Klopfen. Er erwachte und erstaunte, daß die Tafel gedeckt und 
mit Speisen und Getränken in Fülle beladen war. Da öffnete sich 
plötzlich die Thür, und in den Saal trat ein graubärtiger Greis, dem 
seine Familie folgte. Nachdem die Angekommenen sich an die Tafel 
gesetzt hatten, unterbrach der Alte das Stillschweigen, indem er sagte: 
„Willkommen, Fremdling, in meinen Hallen! Hier hast Du Speise und 
Trank im Uberfluß; iß und trink, was Dir beliebt!“ Darnach wollte 
er ohne weiteres die Mahlzeit einnehmen, doch der Wandersmann sprang 
im Nu von seinem Sitze auf, gab dem Greise einen derben Backen- 
streich und rief: „Beten muß man, bevor man ißt!“ — Diesen Worten 
folgte ein furchtbarer Donnerschlag, worauf der Alte sagte: „Habe 
Dank, braver Geselle, Du hast durch Deine Frömmigkeit mich und die 
Meinen erlöst! Vernimm in Kürze meinen Lebenswandel! Mein Vater 
war ein mächtiger Ritter, meine Mutter eine gute und fromme Frau. 
Als einziger Sohn war ich der Eltern Stolz und wurde mit größter 
Liebe und Sorgfalt erzogen; allein ich bereitete denselben für ihre 
Mühen und Opfer nur unsägliches Herzeleid. Denn am Gebete fand 
ich keinen Gefallen, verhöhnte alles, was dem Menschen heilig und 
ehrwürdig sein muß, und sank in meiner Verblendung immer tiefer 
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