362. Die Tellerhäuser bei Wiesenthal.
(Nach Ziehnerts poet. Beh. in Gräße, Sagenschatz ꝛc. No. 502.)
Um das Jahr 1570 lebte zu Wiesenthal ein blutarmer, aber
frommer und fleißiger Bergmann, namens Teller, der bei einer Grube
beschäftigt war, die auf einmal keine Ausbeute mehr gab und deshalb
von ihrem Besitzer, einem reichen Geizhals, nicht mehr bebaut ward.
Ebenso vergebens wie er von Letzterem seinen rückständigen Lohn zu
bekommen gesucht hatte, sah er sich nach neuer Arbeit um; er hatte
eine kranke Frau und drei Söhne zu Hause, allein er hatte kein Brot
für sie und so mußte er nach und nach alles, was er besaß, verkaufen.
So kam der Ostermorgen heran und das letzte, was noch zu Gelde
gemacht werden konnte, war bereits weggegeben. Siehe, da zog es
ihn nach der Kirche, und als er traurig an den Eingang derselben ge-
treten war, kam es ihm vor, als sehe er sich im Festtagsgewande, eine
Stufe glänzenden Silbers auf der Schulter, an der Kanzel stehen.
Er rieb sich die Augen, wendete sein Gesicht weg, aber sobald er wie-
der auf jenen Punkt schaute, stand auch sein Doppelgänger wieder da.
Er verließ endlich die Kirche, und auf dem Wege nach seinem Hause
begegnete ihm ein wohlgekleideter Unbekannter, der ihm, als er von
ihm befragt, warum er so traurig aussehe, seine Not geklagt hatte,
ein großes Geldstück schenkte. Damit kaufte er die notwendigsten Be-
dürfnisse und begab sich nach Hause. Hier hatte er aber keine Ruhe,
denn überall sah er das gehabte Gesicht vor sich, und es kam ihm vor,
als ziehe ihn sein Doppelgänger nach jener eben aufgegebenen Grube
hin. Endlich konnte er nicht mehr diesem innern Drängen wider-
stehen, daher kaufte er sich von dem noch übrig gebliebenen Gelde von
dem Bergmeister die Erlaubnis, in der auflässigen Grube zu bauen,
und fing eifrig an einzuschlagen. Allein seine zwei Hände brachten
wenig vorwärts, der Tag verfloß und er war auf kein edles Metall
gestoßen; schon war der zweite halb zu Ende und er machte eben An-
stalt, sein letztes Stücklein Brot zum Mittagsmahl zu sich zu nehmen,
als aus einem Loche im Gestein ein Mäuschen herauskroch und unge-
scheut die heruntergefallenen Brosamen auflas. Er ließ dasselbe ruhig
gewähren, als es aber anfing auch sein Grubenlicht zu beknabbern,
warf er sein Fäustel nach demselben. Statt daß aber die Maus davon
getroffen ward, sprengte er ein starkes Stück Gestein los, und siehe, hinter
demselben lag ein reicher Gang gediegenen Silbers zu Tage. Kaum
wollte er seinen Augen trauen, allein er konnte nicht zweifeln; er eilte
nach Hause, um seine Familie mit der frohen Kunde zu erfreuen, und so
ward er in wenigen Tagen aus einem armen Häuer ein reicher •.•„
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