Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
Niederlage war aber oben auf dem Boden; deshalb mußte 
Vater hinauf. Oben stand er in der schönen Winternacht an der Dach- 
luke, und es wurde ihm so wunderlich im Herzen und er mußte sein 
Käppchen abnehmen und ein stilles Vaterunser beten. Wenn man aber 
zur Neujahrsnacht unter einem Balken steht, dessen eines Ende nach 
Morgen gerichtet ist, und ein Vaterunser betet, und nicht aus der 
Linie des Balkens heraustritt, so kann man „horchen“, d. h. einen 
Blick in die Zukunft thun, die in einzelnen Bildern vorüberzieht. Tritt 
man aber aus dem Kreise heraus, oder man erzählt jemandem, was 
man gesehen hat, so solls einem den Hals umdrehen. Der Alte hatte 
gar nicht daran gedacht, — aber auf einmal, da fängts an zu läuten, 
als ob eine Leiche wäre, und den Mühlberg herauf kommt ein langer, 
langer Leichenzug, immer näher und näher, bis er endlich vor des 
alten Schneiders Haus anhält. Es dauert auch nicht lange, so kommt 
die Schule und die Geistlichkeit, mit dem Kreuze voran, stellen sich 
neben der Bahre auf, singen zwei Lieder und eine Arie, und dann 
setzte sich der Zug in Bewegung nach dem Kirchhofe zu. Der Alte 
kann die Leichenbegleiter alle erkennen, Vettern, Nachbarn, Gevattern, 
ja sogar sich selbst und seine Ehehälfte darunter, sich selbst dicht hinter 
dem Sarge und mit weinenden Augen. Da ward's ihm doch ein 
wenig bange und er wäre gern fortgegangen; aber es fiel ihm noch 
zu guter Zeit das Halsumdrehen ein. Wie er nun so recht trübselig 
da stand und träumerisch hinausblickte, sah er aus einem Hause ein 
Flämmchen herausfahren, dann aus einem andern, dann wieder eins 
und wieder eins, und zuletzt kam fast aus jedem Hause ein Flämmchen 
gefahren, und das, wußte er wohl, bedeutet Feuer. Da konnte er 
sich denn doch nicht mehr halten, sprang aus dem Kreise, und — es 
schlug Eins! Als er indessen wieder herunterkam, war seine alte Ehe— 
hälfte eingeschlafen; er weckte sie auch nicht erst auf, sondern ließ die 
Arbeit sein und legte sich nieder, konnte aber nicht schlafen, war früh 
verstimmt, ging auch nicht in die Metten, sondern saß still und traurig 
daheim. Als er nach einigen Tagen den Wächter traf, that dieser 
sehr geheimnisvoll und beklommen und meinte: „Meister, Meister! 's 
wird ä schlecht Jahr für Euch und für uns all'! Der liebe Gott behüt' 
uns und die Stadt! mehr darf ich nit sagen: aber wachet und betet, 
daß ihr nicht in Anfechtung fallet!“ Der hatte auch gehorcht, und so 
noch andere. — Es dauerte auch nur wenig Wochen, da starb des 
alten Schneiders Bruder, der Müller drunten in der Bockmühle. Es 
wurde zur Leiche gelauten, den Mühlberg herauf kam ein langer Zug, 
der vor des Alten Haus anhielt. Es kam die Schule und die Geist- 
lichkeit voran, die. stellten sich auf, sangen dieselben zwei Lieder und 
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