416. Ein Fluch zerstört das Schloß auf dem Grauenstein.
(Wenisch, Sagen aus dem Joachimsthaler Bezirke, S. 60 2c.)
Ungefähr eine Stunde von Joachimsthal erhebt sich in der Cen-
tralgruppe des Keilberg-Gebirgsstockes der waldgekrönte „Hohe Berg“,
dessen südlicher Ausläufer wegen einer großen Steinhalde, deren Farbe
von der Wandschüsselflechte herrührt, der „Grauenstein“ genannt wird.
Zu letzterem führt von Joachimsthal aus der Weg über den mit einer
Allee bepflanzten „Graben,“ welcher sich um die „Schwedenschanze“
herumzieht, und dann weiter rechts von dem städtischen Forsthause
„Hut“ über die Thaleinschichte „Rauschererb“. Von dem Grauenstein,
welcher eine schöne Aussicht gewährt, erzählt man folgendes:
Vor mehreren Jahrhunderten lebte im südlichen Böhmen ein
mächtiger Fürst, namens Leopold, der in den verschiedenen Landes-
gebieten reiche Besitzungen hatte. Von seinen Kindern bereitete ihm
sein erstgeborener Sohn, mit Namen Karl, manche bittere Stunde,
denn dieser führte ungeachtet aller Lehren und Ermahnungen eine
liederliche Lebensweise.
Der Vater wurde deshalb veranlaßt, ihn aus dem Hause zu
geben und nach der Residenzstadt Prag zu schicken, allwo er im Strome
der Welt zu einem tüchtigen, charaktervollen Edelmann heranwachsen sollte.
In Prag aber bot sich dem leichtsinnigen Junker erst rechte Ge-
legenheit dar, die schlüpfrigen Pfade des Lasters zu betreten. Als
nun der besorgte Vater von dem ausschweifenden Lebenswandel seines
unverbesserlichen Sohnes Kunde erhielt und ihm deshalb berechtigte
Vorwürfe machte, faßte derselbe den Entschluß, der strengen väter-
licher Gewalt sich durch eilige Flucht aus Prag zu entziehen. Er
wanderte also im jugendlichen Übermute dem waldesdunklen Erzgebirge
zu und gelangte nach einigen Tagereisen in die Gegend des heutigen
Joachimsthal, wo in damaliger Zeit das Dorf Konradsgrün lag.
Überrascht und entzückt von der herrlichen, reich bewaldeten Gebirgs-
welt mit ihren Thälern und Schluchten, ließ er sich hier nieder und
baute mit Hülfe der Einwohner ein stattliches Schloß, in welchem er
in Gesellschaft verdorbener Genossen sein gewohntes wüstes Leben fort-
setzte. Den unaussprechlichen Schmerz des Vaters über den Verlust
des ungeratenen Sohnes hatte indeß die alles heilende Zeit gemildert.
Da trug es sich zu, daß einst der Fürst, welcher ein eifriger
Weidmann war, sich auf einer Jagd, die er auf seinen sehr ausge-
dehnten, im Norden Böhmens gelegenen Gütern veranstaltete, im
dichten Walde verirrte und sein zahlreiches Gefolge verlor. Nach lan-
em mühevollen Umherirren erreichte er bei einbrechender Dunkel-
□–
361