Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
rn spät am Abend und eine finstere Herbstnacht, als August n1-n 
Anna ganz allein diesen nachfolgten. Der kürzere Fürstenweg sollte 
sie schnell nach Freiberg führen. Allein am Tannichtholze war die 
Kraft der Kurfürstin am Ende. Der Kutscher wußte jedoch Bescheid 
und lenkte auf sanftem Feldwege sogleich nach Oederan ein. Hier lag 
alles nach tags vorher gefeiertem „Mariä Geburtsfeste“ in tiefem 
Schlafe. Der schwerfällige Wagen bewegte sich langsam bis nach dem 
Obermarkte herauf, wo an der Ecke eines Hauses, des jetzt Oehme'schen, 
No. 108, noch ein Lichtlein durchs Fenster leuchtete. Dahin wünschte 
Anna so heimlich als möglich gebracht zu werden. Der Hauswirt 
Jakob Mathesius, seines Gewerbes ein Schlosser, war mit seiner Tochter 
Kunigunde eben von einem Kindtaufsschmause heimgekehrt und letztere 
vor dem Spiegel beschäftigt, ihren orientalischen Patenschmuck abzu- 
legen, als ein leises aber freundliches Rufen sie vor die Thüre lockte. 
Zwei Worte reichten hin ihr zu sagen, wem und wie sie hier zu helfen 
habe, mit gewandtem Anstande führte sie die Landesmutter in ihr 
Schlafzimmer, rief die erfahrene Hausfrau herbei, ordnete die nötige 
Hausarznei und schwatzte die sich erholende Anna in den ihr so 
nötigen Schlaf, bei der das kluge Jüngferchen wie bei einer Mutter 
sorgliche Wache hielt, indeß der Landesvater in der Wohnstube sich 
von dem verblüfften Vater die Wahrheit sagen ließ. 
Eine zweistündige Ruhe der gestärkten Fürstin ermutigte diese 
zu dem Wunsche, sogleich weiter zu reisen und den Gemahl herbeizu- 
rufen. Von der Gemahlin unterrichtet, was und wie viel sie dem 
Mädchen danke, fühlte der Kurfürst sich diesem verpflichtet und hielt 
der Bescheidenen die volle Börse hin. Mit edlem Stolz aber trat 
Kunigunde, den Reichtum abweisend, zurück und sagte: „Mir genügt 
an der ehrenvollen Gnade und dem Heil, das unserm Hause wieder- 
fahren ist, und an der Aussicht“, dabei auf die Kurfürstin deutend, 
„für diese Gesegnete des Herrn bald vielleicht knieend diesen meinen 
Dank zu bringen!“ „Sie hat Recht!“ rief, sich erhebend, die Kurfür- 
stin, drängte den Gemahl mit seinem Golde zurück und schloß das 
6 edle Mädchen in ihre Arme, den zweideutigen Sinn ihrer Worte recht 
gut fassend. „An der Wiege meines Kindes wirst Du diesen Dank 
gen Himmel senden, und dahin mich sogleich begleiten!“ Schneller als 
ihr Entschluß, dieser hohen Gnade und dem gütigen Wunsche zu folgen, 
waren die Reisekleider der entzückten Kunigunde herbeigeholt und nach 
wenigen Minuten fuhr sie mit ihren erlauchten Gästen zum Freiberger 
Thore hinaus, hinab nach Dresden, wo nach 4 Wochen die Über- 
glückliche denselben orientalischen Patenschmuck am Taufpult der neu- 
geborenen Prinzessin trug, welchen sie einst getragen hatte, als ihre 
•1. hohe Gevatterin vor die älterliche Wohnung geführt wurde. 
  
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