Full text: Sagenbuch des Erzgebirges.

  
ihr blutig zu sein, und es war ihr, als spinne sie ihr Leichenhemde. 
Sie nahm also das Gesangbuch und die Bibel zur Hand, allein alles 
half nichts, es wollte keine Ruhe in ihr ängstlich schlagendes Herz ein— 
ziehen. Endlich hörte sie die Glocke zur Frühmette läuten und sie eilte 
hinaus, um zu sehen, ob ihr Bräutigam zurückgekehrt sei; allein weder 
jetzt noch nach dem Schlusse der Mette ließ er sich sehen. Endlich 
hatte sie keine Ruhe mehr, sie bat einen ihr freundlich gesinnten Nach- 
bar sie nach Wittendorf zu begleiten, um dort zu hören, ob ihrem 
Geliebten etwas zugestoßen sei. Als sie aber dort ankamen, hörten 
sie, derselbe sei zwar dagewesen, aber schon seit Mitternacht wieder 
fortgefahren, und sie konnten also nicht mehr zweifeln, daß ihm ein 
Unglück begegnet sei. Auf dem Rückwege verfolgten sie nun die Spur, 
welche der Kärrner mit seinem Wagen hinterlassen hatte, und dieselbe 
führte sie auch deutlich nach einer morastigen, aber grundlosen Stelle 
eines den Stollbergern unter dem Namen des Walkteiches bekannten 
Weihers, wo sie auf einmal aufhörte. Jetzt konnte die Arme nicht 
mehr an dem Schicksale ihres Bräutigams zweifeln, sie kehrte trostlos 
in das Städtchen zurück und sprach im halben Wahnsinn zu ihrer alten 
Mutter, in drei Monaten werde sie ihr Bräutigam zur Trauung ab- 
holen, bis dahin müsse sie sich ihr Hochzeitskleid spinnen. So spann 
sie denn emsig bis zum Osterfeste, und als die Mitternacht des Vor- 
abends gekommen war, da dünkte es ihr, es poche jemand dreimal 
ans Fenster. Sie öffnete es und es schien ihr Bräutigam draußen 
zu stehen, zwar mit totenbleichem, aber himmlischfreundlichem Gesichte; 
er lud einen Myrthenkranz und Cypressenranken von seinem Wagen ab 
und verschwand. Kaum hatte sie ihrer bekümmerten Mutter von der 
Erscheinung erzählt, als sie auch schwer erkrankte, und es waren nicht 
24 Stunden verronnen, da war das Mädchen entschlafen. Seit dieser 
Zeit sagt man aber, daß sich der Geist des Kärrners mit seinem Wagen 
und Hunde in den Gassen von Stollberg allnächtlich sehen lasse, und 
wo er vor einem Hause anhält und Kränze abladet, da wird jemand 
aus demselben drei Tage nachher begraben, und wenn jemand in der 
Stadt auf den Tod liegt, da sagt man: Dort hat der Kärrner obge- 
laden. Das Sumpfloch aber, worin er sein Grab fand, heißt noch 
heute das Kärrnerloch. 
  
Aus den Akten über den Kärrner von Stollberg ergiebt sich folgendes: Er 
hieß Martin Schmidt aus Crottendorf und ertrank am 24. Dezember 1591 abends 6 
Uhr im Ratsteiche, d. i. Walkteiche, zu Stollberg. Am 25. abends 4 Uhr ist er auf- 
gefunden, durch den Scharfrichter herausgezogen, aufgehoben und „hinterm Städtlein 
an der Zwickschen Straße auf dem Scheidewege, am Viehweg nach Würschnitz zu“ 
begraben worden. Solches ist vom Stollberger Schösser Lorenz Stuihler dem Be- 
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