eine Unterschätzung der staatsmännischen Fähigkeiten des
Reichskanzlers, die in schroffstem Widerspruch zu der Be-
wunderung steht, die ihm selbst in Frankreich von seinen
Hassern gezollt worden ist. Denn wenn diese Annahme
richtig wäre, so müßte man glauben, daß Bismarck der
Ansicht war, England und Rußland würden der voll-
ständigen Vernichkung Frankreichs stillschweigend zusehen.
Und solche leichksinnige Kurzsichrigkeit ist doch wahrlich
dem Moanne, der seit dem Frankfurter Frieden immer
unfer dem vcauchemar des coalitionse likk, nichk zuzu-
krauen.
Daß aber die in der oben zilierken Randbemerkung
Kaiser Wilhelme I. sich offenbarende Friedensliebe nicht
eklwa durch den Eingriff Englands und Rußlands enk-
fache worden, also kein Erzeugnis der Furcht war, das
beweist ihr Dakum. Sie stammk vom 7. Mai, und der
Schrict Odo Russels, des englischen Bokschafters in Ber-
lin, der Bismarck in solche Aufregung versetzte, erfolgke
erst am g. JIl#ai. 1 Die Unkerredung aber zwischen Kaiser
Wilhelm I. und Kaiser Alegander von Rußland, der
Gorkschakow fälschlich in seinem von Berlin dakierken
kelegraphischen Zirkular das Verdienst an der Erhal-
kung des Friedens zugesteht, als ob er — so schreib Bis-
marck in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ — vor-
her bedrohf gewesen wäre," hak erst am 11. Mai staré-
gefunden.
Die Legende über die deutschen Kriegsabsichken im
Jahre 1875, deren Unzerstörbarkeit Bismarck in seinen
1) Akten Bd. 1, S. 272, Nr. 174.
2) A. a. O. Bd. II, S. 174.
3) Aklten Bd. J, S. 273, Nr. 175.