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selbstverständlich. Dem Reichskanzler erwuchs die Pflicht zur
Vermittelung aus Art. 17 RV., wonach er für die Ausführung
der Reichsverfassung und der Reichsgesetze dem Reichstag
gegenüber verantwortlich war. Für die einzelstaatlichen Re-
gierungen folgte diese Pflicht aus der Aufsicht des Reiches,
die der Reichskanzler über die Ausführung der Reichsgesetze
den Landesbehörden gegenüber hatte.
Für die untergeordneten Behörden endlich ergab sie
sich aus der Dienstaufsicht der übergeordneten Behörde).
Als im Jahre 1911 dem Preußischen Abgeordnetenhaus
eine Petition des Redakteurs Poersch zu Marburg um Erlaß
eines Beschlusses betreffend das Beweisverfahren in Wahl-
prüfungssachen eingereicht wurde, machte der Berichterstatter
nähere Ausführungen zu dieser Frager#): Es sei zweifelsfrei, daß
die Gerichte dem Ersuchen um Vernehmung von Zeugen und
Sachverständigen nachzukommen hätten. Er wies, auf § 38
der Verordnung vom 2. Januar 1849 hin, wonach sich Gerichte
und Verwaltungsbehörden gegenseitig bei Erledigung ihrer
Geschäfte Unterstützung leisten sollen.
Auf demselben Standpunkte stand ein Beschluß des Ober-
landesgerichts in Naumburg a. d. S.) vom 30. November
1900:
In einer Wahlprüfungssache war das Amtsgericht Sten-
dal um eidliche Vernehmung des Zeugen von Jagow ersucht
worden. Das Amtsgericht vernahm zwar den Zeugen, lehnte
seine Beeidigung aber als unzulässig ab. Auf die Beschwerde
des Regierungspräsidenten zu Aurich beschloß nun das Ober-
landesgericht, daß das Amtsgericht den Zeugen von Jagow zu
beeidigen habe. In der Begründung weist das Oberlandes-
gericht ebenfalls auf den § 38 der VO. vom 2. Januar 1849,
sowie auf § 89 Einl. ALR. hin: „Wem die Gesetze ein Recht
1) Vgl. Hatschek S. 537.
2) S. Drucksachen des Hauses der Abgeordneten 21. Leg.-Periode
IV. Session 1912, Nr. 459 S. 3656ff.
3) Drucksachen des Reichstags 1900—1902 S. 1103, Nr. 169.