Full text: Kriegsverordnungen für den Befehlsbereich des Stellvertretenden XX. Armeekorps. Allenstein 1914/17.

Zu i#lc Nr. 2683 T. L. 
  
Erläuterungen. 
Der Brieftaubenverkehr beruht auf dem Trieb der Brieftauben, auch nach längerer 
Einsperrung und auf weitere Entfernungen in ihren Heimatschlag zurückzukehren. 
Eine Brieftaube kann somit zur Ueberbringung nur von Nachrichten nach ihrem Heimat- 
schlag und zwar von allen in angemessener Entfernung um letzteren herum gelegenen Stellen 
aus verwendet werden. 
Die Schläge, in denen die Brieftauben vor dem Auflassen zum Heimflug eingesperrt 
gehalten werden, nennt man Außenschläge. 
Außenschläge für Spionagebrieftauben lassen sich sehr leicht verstecken, hierzu können 
Behälter einfachster Art in den entlegensten Winkeln dienen. Auch im schwer zugänglichen 
Gelände, Wald, Dickung usw. können tragbare Taubenbehälter verborgen werden. 
Heimatschläge sind weniger leicht zu verstecken, aber auch zu ihrer Auffindung ist oft 
große Geschicklichkeit eines Fachmannes erforderlich. 
6 Beim Suchen von versteckten Taubenschlägen ist besonderes Augenmerk auf Abbauten 
zu richten. 
Tauben, die frei umherfliegend kreisen, auf Dächern sitzen oder auf freiem Felde Futter 
suchen, sind sicher ungefährlich, da Nachrichtentauben ohne Aufenthalt in gerader Linie durchzu- 
fliegen pflegen. 
Verdächtig sind alle abgesondert eingesperrten Tauben, wenn sie nicht brüten oder durch 
Beschneiden der Flugfedern flugunfähig gemacht worden sind. Die verdächtigen Tauben sind 
vor allem auf Zeichen (Fußringe, gestempelte Flügel-- und Schwanzfedern) zu untersuchen, sodann 
gegebenenfalls durch Freilassung daraufhin zu prüfen, ob sie in dem Schlage beheimatet sind 
oder nicht. 
Verdächtig sind ferner alle auf der Straße oder mit der Bahn ufw. beförderten 
lebenden, flugfähigen Tauben, da das Fortschaffen der Brieftauben vom Heimatschlag nach 
auswärts die Voraussetzung für ihren Heimatflug mit Nachrichten ist. 
Die Beförderung von Spionagebrieftauben wird aber auch auf geheimem Wege erfolgen. 
Dies kann unter dem Deckmantel von Marktgeflügel in Marktkörben und Bauernwagen versucht 
werden, auch kann man einige Tauben auf kürzere Entfernung im Rucksack oder in der Rocktasche 
mitnehmen. 
Man muß daher in erster Linie das Fortschaffen von Brieftauben aus ihren Heimat- 
schlägen zu verhindern suchen. 
Für den Nichtfachmann u#t es schwer, Brieftauben von anderen Tauben zu unterscheiden: 
das Verbot des Handels und Verkehrs mit lebenden Tauben ist das wirksamste Mittel, das 
unbefugte Fortschaffen von Brieftauben zu verhindern. Mit Rücksicht auf unsere Lebensmittel- 
versorgung erscheint die allgemeine Einführung dieser Maßnahme bedentlich. Vorläufig wird 
empfohlen, diese Maßnahme nur auf die Grenzgebiete auszudehnen — vgl. nachstehend zu § 3 —. 
Häufige unregelmäßige und unauffällige Untersuchung verdächtiger Personen, Gefäße, 
Fuhrwerke usw. auf Wegen, Marktplätzen usw. nach verborgen gehaltenen Tauben ist außerdem 
überall zu empfehlen. Dem entspricht der § 2 der vorgeschlagenen Verordnung. Für Brief- 
tauben der Heeresverwaltung darf das Verbot selbstverständlich nicht gelten. Ebenso ist es 
gebolen, daß die vom Verband deutscher Brieftauben-Liebhaber-Bereine zur Verfügung gestellten 
Brieftauben von dem Verbot ausgenommen werden. 
Im § 1 ist vorgesehen, daß Brieftauben außer der Heeresverwaltung nur halten darf, 
wer dem Verbande deutscher Brieftauben-Liebhaber-Vereine angehört. Diese Beschränkung ist 
zur Durchführung der Ueberwachung des Brieftaubenverkehrs erforderlich. 
Zu § 3. Eine besondere Gefahr bildet die Brieftaubenspionage in den Landesteilen, 
die an die Front, an die Küste oder an die neutralen Länder angrenzen. Hier sind schärfere 
Ueberwachungsmaßregeln vorgesehen und zwar sollen hier sämtliche Taubenbesitzer verpflichtet 
sein, ihre Tauben, gleichviel ob Brieftauben oder andere Tauben, polizeilich anzumelden. Bei 
der Abgrenzung des besonders schutzbedürftigen Gebiets empfiehlt es sich, sich an das Vorbild 
der Verfügungen betr. den Kartenvertrieb anzulehnen. 
Zu § 4 und 5. Die Taubenbestände müssen von Zeit zu Zeit unregelmäßig und 
unauffällig nachgeprüft werden; bei der Bestandaufnahme und der Nachprüfung sind Brief- 
taubensachverständige hinzuzuziehen. Zweckmäßig ist es, die Mitwirkung ortseingesessener Ver- 
trauenomänner zu gewinnen 
Für die Zeit der Aufnahme der Bestände und der Nachprüfungeo wird zweckmäßig 
die Taubensperre über das betreffende Gebiet verhängt, d. h. die Einsperrung sämtlicher Tauben 
angeordnet. Es empfiehlt sich, eine solche Sperre im allgemeinen nicht über 5 Tage auszu- 
dehnen, da bei längerer Einsperrung manche Taubenarten leiden. Dauersperren sind geeignet, 
die davon betroffenen Taubenbestände zu vernichten. Ihre Anwendung wird daher in ganz 
besonderen Ausnahmefällen angezeigt sein. 
Beim Abschuß verwilderter Tauben durch die Polizei werden Militärbrieftauben-Sachverständige hinzu- 
zuziehen sein, wenn die Gefahr besteht, daß eigene Militärbrieftauben gefährdet werden?). 
Die Sperrzeiten werden vom Generalkommando bestimmt und von dem Herrn 
Regierungspräsidenten bekannt gemacht werden. 
*) Dieser Absatz ist durch Verordnung vom 7. März 1917 — Abt. lIIa K Nr. 661 — in Wegfall ge- 
bracht worden; jegliche Art Tauben, nicht nur Brieftauben, darf nicht abgeschossen werden. 
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