Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$1 Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 2 
  
Bundes schon begründet waren. Der Bund hatte keinerlei gesetzgebende Ge- 
walt; weder die Bundesakte noch die Wiener Schlussakte noch die Bundes- 
beschlüsse waren Gesetze, trotzdem sie missbräuchlich als Bundesgesetze be- 
zeichnet wurden, sondern nur Vereinbarungen über das völkerrechtliche Bun- 
desverhältnis der Einzelstaaten selbst oder über die von den letzteren zu er- 
lassenden Gesetze. Ein von dem Landesrecht der einzelnen Staaten verschie- 
denes Bundesrecht, das einen andern Inhalt als die vertragsmässige Normierung 
des Bundesverhältnisses und deren Ausführung im einzeln »n hatte, gab es 
nicht; alles, selbst das durch Bundesbeschlüsse provozierte und in allen deut- 
schen Staaten gleichmässig geltende Recht war ohne Ausnahme nicht Bundes- 
recht sondern Landesrecht. Dieses Recht ist daher auch durch die Auf- 
lösung des deutschen Bundes nicht beseitigt worden ; eben weil es kein Bundes- 
recht war; dagegen sind alle Bestimmungen über den völkerrechtlichen Verein, 
welcher unter den deutschen Staaten mit der Bezeichnung deutscher Bund 
bestanden hat, mit der Auflösung dieses Vereins gegenstandslos geworden und 
vollständig und in allen Beziehungen in Wegfall gekommen !}). 
II. Nachdem schon am 10. Juni 1866, also kurz vor der Auflösung des 
Bundes, Fürst Bismarck den deutschen Regierungen „Grundzüge zu einer 
neuen Bundesverfassung‘ zur Erwägung mitgeteilt hatte, machte er am 
16. Juni 1866 sämtlichen norddeutschen Staaten mit Ausnahme von Hannover, 
Sachsen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt und Luxemburg den Vorschlag zu 
einem Bündnis, welches nur von Sachsen-Meiningen und Reuss ä. L. abgelehnt, 
von allen übrigen angenommen wurde. Nach einem mit diesen Staaten statt- 
gehabten Schriftenwechsel wurde unter ihnen am 18. August 1866 zu Berlin 
definitiv ein Bündnisvertrag abgeschlossen ?), welchem in den Friedensver- 
trägen von Berlin das Kgr. Sachsen, Sachsen-Meiningen und Reuss ä. L., sowie 
Hessen-Darmstadt mit seinen nördlich des Mains liegenden Gebietsteilen 
beitraten. 
In diesem Vertrage wurde zunächst ein Offensiv- und Defensiv-Bündnis 
zur Erhaltung der Unabhängigkeit und Integrität, sowie der inneren und 
äusseren Sicherheit der kontrahierenden Staaten geschlossen und sodann ver- 
einbart, die Zwecke des Bündnisses definitiv durch eine Bundesverfassung 
sicher zu stellen, welche auf der Basis der preussischen Grundzüge vom 10. Juni 
1866 unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenden Parlaments ver- 
einbart werden sollte. Zur Erreichung dieses Zweckes versprachen die Regie- 
rungen, gleichzeitig mit Preussen die auf Grund des Reichswahlgesetzes vom 
12. April 1849 vorzunehmenden Wahlen der Abgeordneten zum Parlament an- 
zuordnen und letzteres gemeinschaftlich mit Preussen einzuberufen, und sie 
verpflichteten sich, Bevollmächtigte nach Berlin zu senden, um nach Mass- 
gabe der Grundzüge vom 10. Juni den Entwurf der Bundesverfassung festzu- 
stellen, welcher dem Parlament zur Beratung und Vereinbarung vorgelegt 
  
1) Damit nicht zu verwechseln ist die Tatsache, dass gewisse Einrichtungen des 
Nordd. Bundes und Deutschen Reiches an Einrichtungen des ehemal. Deutschen Bundes 
anknüpfen; es ist dies ein geschichtlicher Zusammenhang, aber keine rechtliche Kon- 
tinuität. 
2) Die beiden Mecklenburg unterzeichneten erst am 21. August. 
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