Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

104 Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. gs 14 
  
Vorschriften über den Urlaub der Reichsbeamten und deren Stellvertretung 
werden vom Kaiser erlassen !). 
2. Der Reichsbeamte ist zur Treue und zum Gehorsam verpflichtet. In der 
Pflicht zur Treue ist die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit enthalten ?). 
Die Gehorsamspflicht ist beschränkt auf gesetzmässige Dienstbefehle 
der vorgesetzten Behörde. Die Prüfung der Gesetzmässigkeit muss von jedem 
Beamten, der eine Amtshandlung verrichten soll, vorgenommen werden; sie 
beschränkt sich aber auf die formelle Rechtmässigkeit der ihm erteilten 
Vorschriften, insbesondere darauf, ob die befehlende Behörde kompetent ist, 
den Befehl zu erlassen, ob der beauftragte Beamte kompetent ist, die befoh- 
lene Handlung vorzunehmen, und ob der Befehl in der vorschriftsmässigen 
Form erteilt worden ist ?). Die Pflicht zur Treue hat einen vorzugsweise 
ethischen Charakter; daher wird das eidliche Gelöbnis ihrer Erfüllung erfor- 
dert und dadurch eine moralische Garantie ihrer Erfüllung gesucht. Recht- 
lich lässt sich ihr Inhalt nicht erschöpfend darstellen und ihre volle Erfüllung 
nicht wirksam erzwingen. Einige Schriftsteller bestreiten daher, dass die 
Pflicht zur Treue als eine besondere Rechtspflicht von der Gehorsamspflicht 
unterschieden werden könne. Der dienstliche Gehorsam erschöpft aber 
keineswegs den Inhalt der Beamtenpflicht; der Beamte hat vielmehr mit Auf- 
wendung aller intellektuellen und ethischen Kräfte die ihm anvertrauten 
öffentlichen Interessen zu wahren. Ein Beamter, der seine Geschäfte ober- 
flächlich, flüchtig und ohno Energie erledigt, handelt pflichtwidrig, wenngleich 
er tut, was ihm befohlen wird ®). 
3. Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, durch sein Verhalten in 
und ausser dem Amte der Achtung, die sein Beruf erfordert, sich würdig zu 
zeigen °). 
4. Jeder Reichsbeamte bedarf zur Annahme von Geschenken oder Be- 
lohnungen in bezug auf sein Amt der Genehmigung der obersten Reichsbe- 
hörde ®). Die unmittelbaren Reichsbesmten dürfen Titel, Ehrenzeichen, Ge- 
schenke, Gehaltsbezüge oder Remunerationen von anderen Regenten oder 
Regierungen nur mit Genehmigung des Kaisers annehmen ?°). Mit Ausnahme 
der Wahlkonsuln, der auf 5 Jahre berufenen technischen Mitglieder des Patent- 
amts (Patentges. $ 13), der Mitglieder der Beiräte und ähnlicher beratender 
Kommissionen und der einstweilen in Ruhestand versetzten Beamten darf 
kein Reichsbeamter ohne vorgängige Genehmigung der obersten Reichsbe- 
hörde ein Nebenamt oder eine mit fortlaufender Remuneration verbundene 
Nebenbeschäftigung übernehmen oder ein Gewerbe betreiben ®). Dieselbe Ge- 
1) RG. $ 14. V. v. 2. Nov. 1874 (RGBl. S. 129). 
2) RG. $$ 11. 12. 
3) Vgl. P. Bauer in Hirths Annalen 1902 S. 8s6 ff. Al. Girginoff, Der bin- 
(ende Befehl im Strafrecht 1904 (Leipz. Dissert.) S. 50 ff. Bindinga.a. O. S. 765 ff. 
4, Vgl. Otto Maver, Verwaltungsr. II S. 195 ff. Radnitzky im Arch. f. 
öff. Recht Bd. 20 S. 120 ff. Auch die freie Meinungsäußerung eines Beamten kann 
in seiner Pflicht zur Treue Schranken finden. Vgl. darüber Piloty in den Bayr. 
Verkehrsblättern 1911 8. 365 ff. 
5) RG. $ 10. 
4) RG. $ 15 Abs. 2. 
7) RG. $ 15 Abs. 1— 8) Vgl. Vogels im Arch. f. öff. R. Bd. 29 S. 501 ff.
	        
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