106 ‚Vierter Abschnitt: Die Organisation des Reiches. s 14
d. h. für den Fall, dass der tatsächliche Bestand einer Kasse oder eines Maga-
zins geringer ist als der rechnungsmässige Sollbestand !).
Wenn ein Reichsbeamter in Ausübung der ihm anvertrauten öffent-
lichen Gewalt die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht
verletzt, so haftet für den aus der Amtspflichtverletzung entstandenen
Schaden an Stelle des Beamten das Reich nach näherer Anordnung des
Reichsges. vom 22. Mai 1910 (RGBl. S. 798) ?).
3. Die disziplinarischen Folgen beruhen auf der Dienstherr-
lichkeit, auf dem Gewaltverhältnis zwischen Staat und Staatsdiener, sie sind
also ihrem Rechtsgrunde nach staatsrechtlicher, nicht strafrechtlicher Natur.
Das Recht zun disziplinarischen Einschreiten wirkt als Zwang gegen den Be-
amten zur Erfüllung seiner Dienstpflicht. Mit dem Strafrecht hat die Dis-
ziplinargewalt nur das geniein, dass die Geldstrafe auf beiden Gebieten Ver-
wendung findet. Die meisten Schriftsteller behandeln das Disziplinarrecht
als ein Spezial-Strafrecht für Beamte ®); allein Strafrecht und Disziplinar-
recht sind von einander wesentlich verschieden. Es gibt kein erschöpfendes
System und keine spezifisch verschiedenen Arten der Disziplinarvergehen ;
man kann keinen Katalog derselben aufstellen, wie ein Strafgesetzbuch die
Verbrechen und Vergehen mit abschliessender Vollständigkeit aufzuzählen
vermag; es gibt nur ein einziges, generelles Disziplinarvergehen, nämlich die
Verletzung der Amtspflicht und nur graduell verschieden kann die Schwere
der Verletzung und dementsprechend die Grösse der Disziplinarstrafe abge-
stuft werden *). Die Disziplinargewalt kann daher neben der öffentlichen Be-
strafung geltend gemacht werden, ohne dass die Regel ne bis in idem dadurch
verletzt wird °). Die Strafmittel der Disziplin bewegen sich in dem Rahmen der
durch das Dienstverhältnis begründeten Gewalt; die Verjährung der Straf-
verfolgung berührt sich nicht mit dem Disziplinarzwang zur Pflichterfüllung.
Endlich ist die Ausübung des Disziplinarzwanges ein Recht, keine juristische
Pflicht des Staates ®). Die Disziplinarstrafen sind entweder Ordnungsstrafen,
1) RG. $$ 134—148.
2) Siehe darüber das Staatsr. d. D. Reichs Bd. I S. 479 fg. und unten $ 44 1.
3) Für diese Auffassung tritt auch ein Meyerin Hirths Annalen 1872 S. 672 und
Staatsrecht $ 148, dem sich ZornI 8. 328 anschliesst, trotzdem aber die disziplinari-
schen Folgen als staatsrechtliche bezeichnet und den strafrechtlichen gegenüberstellt.
Vgl. fernerv.Bar, Strafrecht Bd. 18.353 ff. Labesin Hirths Annalen 1889 8. 213 ff.
— Dagegen haben sich der hier vertretenen Ansicht angeschlossen Binding, Straf-
recht I S. 796 ff. und Lehrbuch a. a. O. S. 400 fg. v. Liszt, Strafrecht $ 60 IV.
Weckerim Gerichtssaal Bd. 31 S. 481ff. Rehm in Hirths Annalen 1885 S. 191 ff.
Gaupp, Württemb. Staatsrecht $ 48 (3. Aufl. S. 152). Pieper 9. 222 und viele
andere. Vgl.insbesondere auch Jellinek, System 214 ff.und Otto Mayor, Verw.R.
Il S. 241 ff.
4) Bei einer Aenderung der Gesetzgebung über die disziplinarischen Folgen einer
Tat müssen diejenigen Grundsätze zur Anwendung kommen, welche zur Zeit der Ver-
übung in Geltung standen: nur aus Billigkeit wird das spätere Gesetz anzuwenden sein,
insoweit es das mildere ist. Vgl. die (Württemb.) Zeitschrift für die freiw. Gerichts-
barkeit und die Gemeindeverwaltung von v. Jetter und Fortenbach Bd. 314
(1592) S. 154 ff.
5) Daher bindet das strafgerichtliche Urteil, gleichviel, ob es auf Strafe oder auf
Freisprechung lautet, den Disziplinarrichter nicht. Vgl. über diese sehr bestrittene
Frage Harburgerin Seulfferts Bl. f. Rechtsanw. 1911 S. 443 ff.
6) Im Gegensatz hierzu ist die Disziplinar-Strafordnung für das Heer, beziehungs-