$ 15 Die Gesetzgebung. 117
eines anderen Staates, aus der Wissenschaft usw. entnehmen. Dagegen
die Erteilung des Gesetzesbefehles ist notwendig eine Tat des Staates,
denn sie ist eine Aeusserung der Staatsgewalt !). Es kann zweitens die Fest-
stellung dessen, was Gesetz werden soll, einem andern Organ obliegen, als
demjenigen, welchem die Sanktion zukommt. Dies ist insbesondere in der
konstitutionellen Monarchie der Fall. Der Monarch als der alleinige Träger
der ungeteilten und unteilbaren Staatsgewalt ist allein imstande, den staat-
lichen Befehl zu erteilen. Den Inhalt des Gesetzes aber zu bestimmen, steht
ihm nicht ausschliesslich zu; die Volksvertretung hat vielmehr mit der Re-
gierung den Inhalt zu vereinbaren. Der Wortlaut der anzuordnenden Rechts-
regeln ist bereits vor dem Erlass des Gesetzes auf dem im Verfassungsrecht
vorgezeichneten Wege fixiert; der Souverän kann an demselben. nichts än-
dern, er hat nur darüber die Freiheit der Willensentschliessung, ob er den
Befehl erteilen will, dass dieser Wortlaut Gesetz werde. Die Sanktion
allein ist demnach Gesetzgebung im staatsrechtlichen Sinne des Wortes,
und das Recht zur staatlichen Gesetzgebung in dieser Bedeutung ist ebenso
unteilbar wie die Souveränetät, deren Ausfluss und Betätigung es ist. Die
Frage nach dem Subjekt der gesetzgebenden Gewalt ist identisch mit der Frage
nach dem Träger der Staatsgewalt.
Gegen die Unterscheidung von Gesetzesbofehl und Gesetzesinhalt erklärt sich
GierkeininGrünhuts Zeitschr. VIS.229. „Der Gesetzesbefehl‘, sagt er, ‚lässt
sich nicht in formalistischer (?) Weise von der Feststellung des Rechtssatzes los-
reissen, denn was ihn zum Gesetzesbefehl macht, ist lediglich die Natur seines Inhalts
als Rechtssatz, aus der er sich ohne weiteres ergibt; und der Rechtssatz hinwiederum
enthält von vornherein den Gesctzesbefchl als notwendiges Moment, da man
nicht wollen kann, dass etwas Recht sei, ohne zugleich zu wollen, dass es bindende
Kraft habe.“ Ganz übereinstimmend Schulze, Deutsches Staatsr. I S. 527.
Hier wird in sophistischer Weise mit dem Doppelsinn des Wortes ‚„Rechtssatz‘‘ ge-
spielt, das sowohl einen Satz des wirklichen Rechts als einen Satz von juristischem
Inhalt bezeichnet. Der Gesetzentwurf in seiner definitiven Fassung und das Ge-
setz haben einen völlig identischen Inhalt; dennoch hat derselbe Satz vor der
Sanktion keine Autorität, wohl aber nach derselben; mithin ist es nicht ‚lediglich
die Natur seines Inhalts als Rechtssatz, aus der sich der Gesetzeshbefehl ohne weiteres
ergibt‘‘, sondern es ist erforderlich, dass etwas Weiteres hinzukoninit, dass dem
„BRechtssatz‘‘ verbindliche Kraft erteilt wird, dass der Satz von bloss rechtlichem
Inhalt zum Satz des positiven Rechts umgewandelt wird. Nur darf man die Unter-
scheidung zwischen der Feststellung des Gesetzes-Inhaltes und der Sanktion nicht
in der Art missverstehen, dass man diese beiden Erfordernisse gänzlich auseinander-
reisst und isoliert. Beide bilden notwendige Bestandteile des Geselzgebungsgeschäf-
tes. Ein Beschluss der Volksvertretung über einen Gesetzentwurf ist wesentlich ver-
schieden von einer Resolution des Juristentages und dergl.,indemerzudemZweck
erfolgt, dass der gebilligte Satz der positiven Rechtsordnung eingefügt werden soll,
ı und indem er eine staatsrechtliche Vorbedingung für die Sanktion desselben
verwirklicht. In der neueren staatsrechtlichen Literatur ist die Unterscheidung des
1) Die in den Pandekten enthaltenen Regeln waren Rechtssätze vom Augen-
blick ihrer Niederschrift an; zu römischen Gesetzen wurden sie erst durch die
Sanktion des Corp. juris. Die Bundesversamunlung des ehemaligen Deutschen Bundes
konnte durch Beschluss Rechtsregeln formulieren, sogenannte Bundesgesetze machen,
welche an sich keine Gesetzeskraft hatten, denen aber die einzelnen Bundesstaaten
dieselbe zu erteilen verpflichtet waren. Wechselordnung und Handelsgesetzbuch sind
bei ihrem ersten Entstehen von keinem verfassungsmässig zur Gesetzgebung berufenen
Organe eines deutschen Staates ihrem Inhalte nach festgestellt, wohl aber von den
einzelnen Staaten unverändert eingeführt d. h. mit Gesetzeskraft ausgestattet worden.
Für mehrere Rechtsgebiete ergehende selbständige Gesetzesbefehleniit
identischem Rechtsinhalt schaffen materiell gemeines Recht, ein für mehrere
Rechtsgebiete verbindlicher Gesetzesbefehl begründet für dieselben formel) «e
meines Recht.