118 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. s 15
Gesetzesinhalts und des Gesetzesbefehls fast durchweg anerkannt: vgl. die Angaben
bei G. Meyer, Staatsrecht $ 157 Note 4. Dagegen wird von einigen Schriftstellern
die Ansicht vertreten, dass die Volksvertretung nicht nur an der Feststellung des
Gesetzesinhalts, sondern auch an dem Erlass des Gesetzesbefehls Anteil habe; ins-
besondere von G. Meyer, Anteil der Reichsorgane 8. 24ff. J. Lukas, Die
rechtl. Stellung des Parlaments etc. Graz 19 vl. Radnitzky im Jahrb. des öff.
Rechts 1911 S. 49 ff. Lukas erklärt dies sogar für eine logische Notwendigkeit,
indem er davon ausgeht (8. 120), „dass alle diejenigen, deren Willenserklärung zuuı
Zustandekommen des Gesetzes rechtlich erforderlich ist, da-lurch. dass sie diese Er-
klärung den Staatsuntertanen gegenüber abgeben, die Erteilung des Gesetzesbefehls
gemeinschaftlich vornehmen‘. Hierin liegt ein fundamentalerlIrrtum. Das
Parlament gibt in der konstitutionellen Monarchie niemals eine Erklärung den
Staatsuntertanen gegenüber ab; es erteilt durch die Genehmigung eines Gesetzentwurfs
demMonarchen gegenüber die Zustimmung, dass dieser den Gesetzes-
befehl erlasse. Der Reichstag kann immer nur beschliessen, aber nieinals handeln und
daher auch niemals befehlen. Die Verhandlungen zwischen den Organen des Staates
sind keine Willenserklärungen, die an die Untertanen oder andere Dritte gerichtet sind.
Es verhält sich im Staat nicht anders wie bei anderen Korporationen. Für die Ge-
meinden handelt Dritten gegenüber der Bürgermeister allein, für die Aktiengesell-
schaft der Vorstand allein, auch in den Fällen, in welchen die Zustimmung des Ge-
meinderats oder Aufsichtsrats erforderlich ist. Da die Beschlüsse des Parlaments
sich überhaupt nicht an die Untertanen richten, so kann das Parlament auch nicht
an einem den Untertanen erteilten Befehl mitwirken, wohl aber eine Vorbedingung
für die Erteilung dieses Befehls seitens des Monarchen schaffen. Darnit widerlegt sich
auch die Theorie derjenigen Schriftsteller, welche den Erlass eines Gesetzes als einen
„Gesamtakt‘' des Monarchen und des Parlaments ansehen; der Beschluss des Parla-
ments und die Sanktion sind zwei getrennte Akte von ganz verschiedenem Inhalt,
die an verschiedene Adressaten gerichtet sind und auch äusserlich voneinander voll-
komınen getrennt sind und von denen jeder seine eigenen und besonderen Rechts»
wirkungen hat.
3. Dadas Gesetz ein Willensakt ist, bedarf dasselbe einerErklärung.
Die Form, in welcher die Erklärung erfolgen muss, lässt sich aus dem Be-
griff des Gesetzes nicht ableiten, sondern bestimmt sich nach den positiven
Vorschriften, welche darüber bestehen; sie hat den Zweck, den Gesetzes-
willen in authentischer Gestalt erkennbar zu machen, nicht auch die Ge-
meinkundigkeit des Gesetzes herbeizuführen. Gegenwärtig bedient man sich
hierzu der Schrift; die Form der Gesetzeserklärung ist sonach die deröffent-
lichen Urkunde. Wesentlich für dieselbe ist, dass sich aus ihr in for-
mell unzweifelhafter (authentischer) Art das Vorhandensein des Gesetz-
gebungs-Befehls und sein Inhalt ergibt. Durch die Beurkundung des Ge-
setzes wird dasselbe sinnlich wahrnehmbar und dadurch juristisch erst exi-
stent. Diese Beurkundung darf aber nur erfolgen, wenn das Vorhandensein
der Voraussetzungen, welche das positive Recht für den Erlass eines Ge-
setzes aufstellt, konstatiert wird. Die Ausfertigung eines Gesetzes enthält
daher nicht nur die authentische Beurkundung seines Wortlautes, sondern
zugleich eine formelle Feststellung, dass die verfassungsmässigen V.orbeding-
ungen dos Gesetzgebungswillens erfüllt sind. Hierdurch erlangt die Ausferti-
gung eine weittragende staatsrechtliche Bedeutung und wird zu einem Er-
fordernis für das Zustandekommen eines Gesetzes, welches man ebensowohl
von der Sanktion wie von der Verkündigung unterscheiden muss. (Siehe
unten S. 124 ff.)
4. Endlich ergibt sich aus dem Begriff des Gesetzes die Notwendigkeit
seiner Verkündigung. Das Gesetz ist nicht an bestimmte einzelne Personen
gerichtet; es enthält einen Rechtssatz; es verlangt Befolgung oder Berück-
sichtigung von allen, welche an der Rechtsordnung teilnehmen oder zur Hand-