8 15 II. Der Weg der Reichsgesetzgebung. 123
wachung der Ausführung derselben, also nur Funktionen, welche die Sanktion
dies Gesetzes bereits voraussetzen !).
Träger der souveränen Reichsgewalt ist die Gesamtheit der deutschen
Staaten als ideelle Einheit gedacht; nur von ihr kann daher der eigentliche
Gesetzgebungsakt, die Sanktion der Reichsgesetze, ausgehen. In allen Fällen
aber, in denen die Bundesglieder ihren Anteil an der Reichsgewalt auszuüben
haben, ist der Bundesrat das dafür verfassungsmässig bestimmte Organ, da
die Mitglieder desselben die Werkzeuge sind, durch welche der Wille der
Einzelstaaten erklärt wird, und da er durch seinen Beschluss den Willen der
Einzelstaaten zu einem einheitlichen Gesamtwillen verbindet. Die Sank-
tionder Reichsgesetzeerfolgtdemnach durcheinen
Beschluss des Bundesrates?). Da nun der Bundesrat auch an
der Feststellung des Gesetzes-Inhaltes Anteil nimmt, so kann die Zustim-
mung des Bundesrates zu dem Inhalte des Gesetzentwurfs mit dem Beschluss,
denselben zu sanktionieren, in einen und denselben Akt zusammenfallen.
Aber nicht in allen Fällen werden die beiden Beschlüsse uno actu gefasst.
Es tritt dies deutlich zu Tage, wenn ein Gesctzesvorschlag vom Bundesrat
ausgeht und vom Reichstage unverändert angenommen wird; in diesem Falle
muss der Bundesrat, wenn die Vorlage aus dem Reichstage an ihn zurück-
gelangt, einen zweiten Beschluss fassen, welcher darauf gerichtet ist, den
Gesetzentwurf dem Kaiser zur Ausfertigung und Verkündigung zu unter-
breiten. Dieser Beschluss enthält die Sanktion des Gesetzentwurfs °).
Die Eingangsformel der Reichsgesetze gibt dem Vorgange, durch welchen ein
Reichsgesetz zustande kommt, keinen völlig getreuen Ausdruck. Sie ist ganz so ge-
fasst, als wäre der Bundesrat eine Abteilung der Volksvertretung und das Reich nicht
ein Bundesstaat, sondern eine Monarchie mit zwei Kammern. Die erfolgte Zustiin-
mung des Bundesrates wird neben der des Reichstages erwähnt, als wären beide
gleichartig. Den Gesetzesbefehl erlässt der Kaiser allerdings „im Namen des Reiches‘,
1) Der von Frickera. a O. S. 16fg. erhobene Einwand, dass das Gesetz erst
durch die Verkündigung zur rechtlichen Entstehnng komme, also nicht vorher schon
rechtliche Wirkungen haben könne, beruht auf einem Denkfehler. Nicht das
sanktionierte Gesetz erzeugt die Verpflichtung zu seiner Verkündigung, sondern an die
Tatsache, dass ein Gesetz sanktioniert worden ist, knüpft das Verfassungsrecht
die Verpflichtung des Kaisers, es zu verkündigen.
2) Dies ist auch die fast einstimmige Ansicht aller Schriftsteller über das Staats-
recht des Reiches. Vgl. Seydelin v. Holtzend. Jahrb. III S. 2835. Hänel, Stu-
dien II S.52. ZornI S.413. Schulzell S.118 Jellinek8S.321.G.Mevyer,
Staatsr. $ 163 (daselbst Note 4 reichliche Literaturangaben) u. Anteil der Reichsorgane
S. 41ff. Anschütz, Enzykl. S. 601. Dambitsch 8. 171fg. Neuerdings hat
Kolbow, Archiv f. öff. R. Bd. V S. 97 fg. die Behauptung aufgestellt, dass die Reichs-
verfassung überhaupt keine Sanktion kenne. Auch Gierke,D. Privatr. $ 18 Note 11
u.Rosenbergin Hirths Annalen 1900 8. 577 ff. sind der Ansicht, dass die Sanktion
weder zum Gesetzgebungsverfahren überhaupt erforderlich ist, noch bei Reichsgesetzen
stattfindet. Der Hauptgrund dieser Schriftsteller, dass die Sanktion in den Verfassungen
in der Regel nicht besonders erwähnt wird, ist m. E. nicht von Bedeutung; denn die
Verfassungen enthalten oft gerade das nicht, was selbstverständlich ist und einer aus-
drücklichen Festsetzung nicht bedürftig erscheint. Erkennt man aber an, dass in jedem
Gesetz ein Befehl enthalten ist, so ist es auch selbstverständlich, dass jemand diesen
Befehl erteilen muss, und es ergibt sich aus der allgemeinen Ordnung der Verfassung
eines Staates zugleich, welches Organ des Staates dazu berufen ist.
3) Hiergegen hat zwar Gierke (bei Grünhut Bd. VI S. 230) sich erklärt,
allein sowohl die klare Bestimmung des Art. 7 Ziff. 1 der RV. als die Praxis des Bundes-
rates, soweit dieselbe bekannt geworden, stehen der hier vertretenen Ansicht zur Seite,
welcher auch Meyer.a. a. O. 8. 47ff. ZornIS. 414. Hänel, Studien II 8. 52.
Seydel, Kommentar S. 117 Frormann 8. 62fg. sich angeschlossen haben.