124 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $15
aber ohne Andeutung, dass er dies auf Grund und in Ausführung des vom Bundes-
rate namens der verbündeten Regierungen gefassten Sanktionsbeschlusses tut. Die
Eingangsfuorinel ist der Preussischen nachgebildet, welche zunächst für die
Gesetze des Norddeutschen Bundes übernommen wurde und dann für die Reichs-
gesetze in Tebung blieb. Sie ist wohl ein rudimentärer Ueberrest der ursprünglichen
Tendenz Bismarcks, zum Kernpunkt der BV. die Hegemonie Preussens zu machen.
Staatsrechtliche Folgerungen über den Anteil der Reichsorgane an der Gesetzgebung
können aus ihr nicht hergeleitet werden. A. A.Bornhak im Arch. £f. öff. R. VIII
S. 461, der ein der Verfassung derogierendes Gewohnheitsrecht (!) annimmt.
Die Beschlussfassung des Bundesrates erfolgt nach den oben 8. 70 dar-
gestellten Grundsätzen !).
3. Die Ausfertigung. Das Gesetz bedarf, um rechtlich wirksam
zu werden, einer sinnlich wahrnehmbaren authentischen und solennen Erklä-
rung, einer äusseren, seine rechtmässige Entstehung verbürgenden und be-
stätigenden Form. Dieselbe erhält es durch die Ausfertigung, welche Art. 17
der RV. dem Kaiser überträgt. beziehentlich zur Pflicht macht. Der Beschluss
des Bundesrats, welcher die Sanktion des Gesetzes enthält, ist nicht der
formelle Erlass des Gesetzesbefehls selbst; Beschlüsse des Bundesrats treten
als solche nicht nach Aussen in die Erscheinung; der Bundesrat beschliesst
nur, dass der Gesetzesbefehl im Namen des Reichs erlassen werden soll. Ueber
die Form, in welcher die Ausfertigung zu erfolgen hat, bestimmt die Reichs-
gesetzgebung nichts. Aus dem Wortbegriff selbst ergibt sich, dass die Aus-
fertigung die wesentlichen Bestandteile einer Urkunde, also den voll-
ständigen Wortlaut des Gesetzes, die eigenhändige Unterschrift des Kaisers
und das Datum enthalten muss. Ausserdem enthält die Urkunde einen Ab-
druck des kaiserlichen Siegels. Erforderlich ist ferner die Gegenzeichnung
des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.
Durch die Herstellung dieser Urkunde erhält das Gesetz eine körperliche Exi-
stenz, wird sinnlich wahrnehmbar, und zur Verkündigung geeignet. Der Tag
der Ausfertigung ist das Datum des Gesetzes.
Die Eingangsworte der Gesetzes-Urkunde lauten: „Wir... . verordnen
im Namen des Deutschen Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bundes-
rates und des Reichstages, was folgt‘. Die Ausfertigung des Gesetzes enthält
also die kaiserliche Versicherung, dass das Gesetz die Zustimmung des Reichs-
tages und Bundesrates erhalten hat, d. h. den Anforderungen der Reichsver-
fassung gemäss zustande gekomnien ist. Sie setzt demnach eine Prüfung des
Weges, den das Gesetzgebungswerk zurückgelegt hat, voraus. Dem Kaiser
als solchem steht zwar ein Veto gegen das Reichsgesetz nicht zu; aber der
Kaiser hat das Recht und die Pflicht, zu untersuchen, ob das Gesetz in ver-
1) Die Frage, innerhalb welcher Frist ein vom Reichstag genehmigter Gesetz-
entwurf vom Bundesrat sanktioniert werden kann, ist bei Gelegenheit des Gesetzes
v. 8. März 1904 (Reichsgesetzbl. S. 139) betreffend die Aufhebung des $ 2 des Jesuiten-
gesetzes streitig geworden. Vgl. meinen Aufsatz in der DJZ. 1904 S. 321. Müller
(Meiningen) in Hirths Annalen 1904 S. 301. A. Klcine;, Bestcht eine Zeitgrenze f. die
veriassungsm. Zustimmung usw. 1905 (Leipziger Doktordissert... Scheibke, Die
Frist für Sanktion und Publik. von Gesetzen. Tüb. 1909. (Beruht auf der unrichtigen
Gesamtakts-Theorie.) Pabst, Die Sanktions- u. Publikationsfrist f. Gesetze. Berlin
1909. Anschütz, Enzykl. S. 600. Dambitsch, $S. 177fg. Der Reichstag
hat in einer Resolution v. 16. April 1004 (Stenogr. Bericht S. 2022 ff.) verlangt, dass diese
Grenze durch ein Reichsgesetz bis zu dem Tage des Zusammentretens des neugewählten
Reichstages festgesetzt werde; ein solches Gesetz ist aber bisher nicht ergangen.