Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

6 Erster Abschnitt: Die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches. $ 1 
  
beschlossen einstimmig, ‚den Verfassungsentwurf, wie er aus der Schluss- 
beratung des Reichstages hervorgegangen ist, anzunehmen“. 
Die rechtliche Lage, welche durch diese Beschlüsse geschaffen wurde, 
war folgende. Die Errichtung des norddeutschen Bundes war noch nicht 
erfolgt; der sogen. konstituierende Reichstag war kein Parlament im staats- 
rechtlichen Sinne, sondern nur eine Versammlung vom Volke gewählter poli- 
tischer Vertrauensmänner; seine Genehmigung des Verfassungsentwurfs hatte 
nur die Bedeutung eines Gutachtens; ihm war durch die weit überwiegende 
Mehrzahl der Wahlgesetze nur die Befugnis zur ‚Beratung‘ einer Bundes- 
verfassung erteilt worden !). Unter den verbündeten Staaten bestand viel- 
mehr dasjenige Rechtsverhältnis, welches durch das Augustbündnis und 
durch die dasselbe in Bezug nehmenden Friedensverträge geschaffen war, im 
wesentlichen unverändert tort. Nur war der Art. 5 desselben erledigt durch 
vollständige Erfüllung und der Art. 2 war inhaltlich näher bestimmt; die Ver- 
pflichtung und Berechtigung der Staaten, einem Bunde anzugehören, dessen 
Verfassung unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenden Parlaments 
vereinbart werden sollte, hatte sich spezialisiert zu der Pflicht und dem 
Recht, einem Bunde mit der am 16. April 1867 festgestellten Verfassung an- 
zugehören. Die wechselseitige Pflicht, einen Bund zu gründen, konnte jetzt 
durch diese Gründung selbst erfüllt werden. Hierzu aber waren die Regierungen 
der verbündeten Staaten nach dem Staatsrecht der letzteren ohne Zustim- 
mung der Landesvertretungen nicht befugt. Sie bedurften hierzu einer in der 
Form des verfassungsändernden Gesetzes erteilten Ermächtigung, weil durch 
diesen Eintritt die Verfassung jedes Einzelstaates auf das Tiefste verändert 
wurde. Demgemäss ist der Entwurf der Bundesverfassung in allen einzelnen 
Staaten den Landtagen zur Genehmigung vorgelegt und in der für Gesetzes- 
Publikationen vorgeschriebenen Form verkündet worden. Alle diese Publi- 
kationspatente enthalten die Bestimmung, dass diese Verfassung in den be- 
treffenden Staatsgebieten „am 1. Juli 1867 in Kraft treten soll‘. Es wäre 
verfehlt, aus diesen Publikationen den Schluss zu ziehen, dass die mit dem 
1) Zorn, Staatsrecht I, 23fg. behauptet, dass ‚die Tätigkeit des sogen. kon- 
stituierenden Reichstages gar keine andere a!s eine beratende sein konnte, und 
wenn der Augustvertrag dem Parlament eine ‚„verfassungsvereinbarende‘ Tätigkeit vin- 
diziert und alle 22 Einzelstaatsgesetze dies sanktioniert hätten, so wäre die Tätigkeit 
dieses Parlamentes doch nur eine beratende gewesen“. Dies schiesst über das Ziel hinaus. 
Die Einzelstaaten waren durch nichts gehindert, durch ein in verfassungsmässiger 
Weise zustande gekommenes Gesetz im voraus die zwischen den Regierungen und dem 
Parlament zu vereinbarende Verfassung anzuerkennen, was in Braunschweig und Bremen 
auch in der Tat geschehen ist. Die im Februar 1887 zusamınentretende Versammlung 
hätte ebensogut an die Stelle der 22 Volksvertretungen der Einzelstaaten gesetzt werden 
können, wie gleich darauf das sogen. Zollparlament als gemeinschaftliche Ver- 
tretung der Bevölkerung der Zollvereinsstaaten an die Stelle der Volksvertretungen 
der letzteren getreten ist. Der Zollverein von 1867 war doch auch kein „Staat‘‘ und 
hatte dennoch ein Parlament, dem es an einer rechtswirksamen Tätigkeit doch gewiß 
nicht fehlte. Die Volksvertretungen der Einzelstaaten, voran das Preuss. Abgeordneten- 
haus, wollten nur nicht den verbündeten Regierungen und dem nach dem Wahl- 
gesetz von 1849 zu wählenden, sogen. Reichstage die „Vereinbarung‘ der Bundes- 
verfassung überlassen. Vgl. über die Gründe hierzu Mejer, Einleitung S. 284 ff. 
und Hänel, Staatsrecht I. S. 24 ff., welcher nanıentlich die von Bindinga.a. O. 
aufgestellten Behauptungen sehr treffend widerlegt. Siehe auch Anschütz in der 
Enzyklopädie II. S. 504.
	        
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