Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

8 16 Die Verordnungen des Reiches. 141 
erlassen ist, so entzieht sich die Richtigkeit dieser Tatsache jeder weiteren 
Prüfung und Beurteilung durch die Gerichte, Verwaltungsbehörden und 
Untertanen des Reiches; und zwar ist in dieser Formel nicht nur ein Zeugnis 
enthalten, dass der Inhalt der Verordnung dem Bundesrat zur Beschluss- 
fassung vorgelegt und durch einen Beschluss desselben gebilligt worden ist, 
sondern auch ein formell unanfechtbares Urteil ausgesprochen, dass dieser 
Beschluss des Bundesrates den Verfassungsbestimmungen gemäss und gültig 
gefasst worden ist. Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des kaiserlichen 
Ausspruchs übernimmt der Reichskanzler durch Gegenzeichnung der kaiser- 
lichen Urkunde. Bei den vom Bundesrat zu beschliessenden Verordnungen 
hat der Bundesrat selbst, wie jedes Kollegium bei seinen Beschlüssen, die da- 
für bestehenden Vorschriften zu beobachten und, falls sich Zweifel oder Mei- 
nungsverschiedenheiten ergeben, dieselben durch Beschluss zu entscheiden. 
Wenn der Vorsitzende des Bundesrats den Bundesrats-Beschluss ausfertigt, 
so bekundet er dadurch zugleich, dass Zweifel über das Verfahren oder über 
das Resultat der Abstimmung entweder nicht erhoben oder ordnungsmässig 
erledigt worden sind. Die Ausfertigung der Verordnung hat demnach wie die 
der Gesetze die Wirkung, dass sie die Verordnung körperlich in einem authen- 
tischen Texte herstellt und die Ordnungsmässigkeit des formellen Verfahrens 
bekundet. 
Dagegen besteht in einer andern Beziehung ein sehr wesentlicher Unter- 
schied zwischen Gesetzen und Verordnungen. In der Form des Gesetzes kann 
das Reich jeden Willensakt, gleichviel worin sein Inhalt besteht, rechts- 
wirksam erklären; die Verordnung dagegen kann nur auf Grund einer be- 
sonderen Ermächtigung erlassen werden. Die Rechtskraft jeder Rechtsver- 
ordnung ist immer zurückzuführen auf ein Gesetz, welches für einen bestimn- 
ten Kreis von Anordnungen den gewöhnlichen Weg der Gesetzgebung durch 
den kürzeren Verordnungsweg ersetzt. Die Gültigkeit der Verordnung ist 
daher nicht bloss abhängig davon, dass dieser Verordnungsweg formell richtig 
eingehalten worden ist, sondern auch davon, dass er überhaupt zulässig war. 
Hieraus ergibt sich, dass in jedem einzelnen Falle, in dem es sich um die 
Anwendung einer Verordnung handelt, eine Prüfung vorgenommen werden 
muss, ob die Verordnung rechtsgültig ist. 
Diese Prüfung ist sowohl darauf zu richten, ob die Verordnung von dem- 
jenigen Organ erlassen ist, welches dazu reichsgesetzlich ermächtigt worden 
ist, als auch darauf, ob sich der Inhalt der Verordnung innerhalb der von dem 
delegierenden Gesetz gezogenen Grenzen hält. Wenn eine Verordnung diese 
Grenzen überschreitet, so braucht sie deshalb nicht ganz und gar nichtig zu 
sein; sie behält ihre Gültigkeit, soweit ihre Anordnungen durch die gesetz- 
liche Ermächtigung gestützt und getragen werden; oder sie kann als Rechts- 
vorschrift ungültig sein, als Verwaltungsvorschrift dagegen Wirkungen haben). 
5. Rechtsverordnungen müssen, um Geltung zu erlangen, verkündigt 
werden; ob eine Rechtsvorschrift im Wege des Gesetzes oder in der Form der 
— un 
1) Rosin$8. 59. SeligmannS. 113. Bartholomäus im Arch. f. öff. R. 
Bd. 13 S. 586 ff. mein Vgl. Staatsr. des D. Reichs II S. 106.
	        
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