$1 Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 7
norddeutschen Reichstage vereinbarte Verfassung gleichmässiges
Landesgesetz sämtlicher verbündeten Staaten geworden seit). Wäre
dies richtig, so würde jeder Staat sie auch wieder durch Landesgesetz für sein
Gebiet ausser Kraft setzen können. Die Verfassung greift zwar in das Landes-
recht der einzelnen Staaten ein, sie ist aber nach ihrem Wesen eine Ordnung
des zwischenstaatlichen Verhältnisses der Bundesstaaten, eine
Organisation der Gesamtheit, also eine über die Macht aller Einzel-
staaten hinausgehende Rechtssatzung ?). Die Gründung des Norddeutschen
Bundes, der gleichzeitige Eintritt der norddeutschen Staaten in denselben war
eine Tat, eine Rechtshandlung der norddeutschen Staaten. Die
Staaten vollzogen als willens- und handlungsfähige Personen durch Gründung
des Norddeutschen Bundes einen Willens-Entschluss. Die Art und Weise wie
dieser Entschluss erklärt und verwirklicht wurde, bestand darin, dass jeder
Staat in der Form des Gesetzes d. h. unter Konstatierung der Uebereinstim-
mung der Krone und der Volksvertretung, ihn öffentlich bekundete und da-
durch zugleich seine Regierung ermächtigte und verpflichtete, alle zur Aus-
führung dieses Entschlusses erforderlichen Massregeln zu treffen. Der Ent-
schluss in den Norddeutschen Bund einzutreten, konnte aber in keiner anderen
Weise mit der erforderlichen Bestimmtheit ausgedrückt werden, als durch
Bezugnahme resp. Mitteilung der Verfassung desselben. In ihr allein war der
präzise Ausdruck seines Zweckes, seines Mitgliederbestandes und Gebiets-
umfanges, seiner Kompetenz, seiner Verfassungseinrichtungen usw. gegeben.
Der Name Norddeutscher Bund enthält nur durch die Bundesverfassung eine
konkrete und fest bestimmte Bedeutung. Sie musste daher mitpubliziert wer-
den. Die Klausel: ‚Die Verfassung des Norddeutschen Bundes tritt in dem
Gebiete des Staates X. am 1. Juli 1867 in Kraft‘‘, welche die Einführungs-
patente haben, ist vollkommen identisch mit dem Satze: ‚Der Staat X. tritt
am 1. Juli 1867 in den Nordd. Bund ein.“ Denn die Verfassung des Nordd.
Bundes konnte in einem Einzelstaate gar nicht anders in Kraft treten, als
durch Gründung des Norddeutschen Bundes resp. Eintreten in denselben;
und kein Staat konnte anders in den Norddeutschen Bund eintreten als da-
durch, dass die Verfassung des letzteren in seinem Gebiet in Kraft trat. Den
Inhalt der Publikationsgesetze vom Juni 1867 bilden nicht die Bestimmungen
der Nordd. Bundesverfassung an sich, sondern ihr Inhalt ist deErklärung
des Beitritts zu demjenigen Bunde, welcher in dieser Verfassung de-
finiert ist.
—1)So Seydel, Komment. S. 15ff. Arndt RVerf. S. 43. Vgl. dagegen
Rehm, Allg. Staatslehre S. 138 und Anschütz 8. 505.
2) A. Coenders in der Kohlerschen Zeitschrift für Völkerrecht und Bundes-
staatsrecht Bd. 3 S. 221 ff. (1909) stellt die Theorie auf, dass jeder einzelne Staat nur
den ideellen Teil der Verfassung, soweit sein Machtbereich reichte, zum Gesetz
erhoben habe. (S. 309 fg.) Dass ein Gesetz nach ideellen Bruchteilen eingeführt werden
könne und dass von einem einheitlichen Gesetz in den einzelnen Gliedstaaten verschie-
dene ideelle Quoten gelten, ist ein Auswuchs juristischer Konstruktion, der an Verkehrt-
heit kaum überboten werden kann. Die Konsequenz, dass die durch Landesgesetz ein-
geführte pars pro indiviso der Verf. durch Landesgesetz auch wieder aufgehoben werden
könne, schiebt er durch die Bemerkung beiseite, dass die Bundesverfassung eine ‚„Aus-
nahme‘‘ mache (S. 317). Zu einer eingehenden Widerlegung ist hier kein Raum; sie ist
auch wohl nicht erforderlich.