146 Fünfter Abschnitt: Die- Funktionen des Reiches. $ 17
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aussetzt, aber sie nicht regelt, z. B. eine Behördenorganisation, ein Ge-
fängniswesen, eine Zwangserziehung, eine Gemeindeverfassung usw. Ohne
solche Einrichtungen könnte zwar das Reichsgesetz nicht ausgeführt werden,
aber die Einrichtungen haben eigene und selbständige Zwecke; ihre Normie-
rung bleibt daher den Einzelstaaten überlassen.
III. So lange eine Rechtsmaterie reichsgesetzlich nicht geregelt ist, unter-
liegt dieselbe im allgemeinen der Autonomie der Einzelstaaten. Hiervon sind
jedoch gewisse Gegenstände ausgenommen, welche der Gesetzgebungskompe-
tenz der Einzelstaaten gänzlich entzogen sind. Dahin gehören zunächst die-
jenigen Gegenstände, welche ihrer Natur nach nicht der Machtsphäre eines
Gliedstaates, sondern derjenigen des Reiches unterworfen sind, wie die Ver-
fassung, Behörden-Organisation, Beamtenverhältnisse, Finanzwirtschaft des
Reichs selbst und seiner Schutzgebiete. Ferner die Vorschriften über die
Kriegsmarine, da nach Art. 53 der RV. dieselbe eine „einheitliche“ ist. Hin-
sichtlich der Handelsmarine sind in Art. 54 Abs. 2 diejenigen Punkte auf-
geführt, welche das Reich zu bestimmen hat. In betreff des Kriegswesens ist
die Gesetzgebung der Einzelstaaten ebenfalls ausgeschlossen. Art. 61 der RV.
Ausserdem ist durch Art. 35 der RV. dem Reich ausschliesslich zugewiesen
die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen; ferner über die Besteuerung
des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Brannt-
weins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dar-
gestellten Zuckers und Syrups, jedoch mit der Ausnahme, dass in Bayern,
Württemberg und Baden die Besteuerung des inländischen Bieres der Landes-
gesetzgebung vorbehalten bleibt; endlich über den gegenseitigen Schutz der
in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinter-
ziehungen, sowie über die Massregeln, welche in den Zoll-Ausschlüssen zur
Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. Hinsichtlich dieser
Materien ist die Gesetzgebung der Einzelstaaten ganz und gar ausgeschlossen
und durch die Reichsgesetzgebung untersagt.
Die Frage, ob ein Landesgesetz im Widerspruch mit einem Reichsgesetz
steht, und ob der Erlass desselben nach Massgabe der vorstehend ausgeführ-
ten Rechtsregeln statthaft war, unterliegt der Prüfung der Gerichte und Be-
hörden, welche nach dem Grundsatz des Art. 2 der RV., dass die Reichsgesetze
den Landesgesetzen vorgehen, bei einem Widerspruch zwischen Reichs-
und Landesrecht auf den ihrer Entscheidung unterliegenden Fall die Vor-
schrift des Reichsgesetzes anzuwenden haben !). Daneben besteht das Recht
des Reiches, die Ausführung der Reichsgesetze zu überwachen und die im
Art. 4 der RV. aufgeführten Angelegenheiten zu beaufsichtigen. Diese Be-
fugnis ist in der Art geltend zu machen, dass der Kaiser oder sein Minister,
der Reichskanzler, die Regierung des Einzelstaates über die Unzulässigkeit
des in dem letzteren erlassenen Gesetzes’ aufklärt und zur pflichtmässigen.
1) Die landesgesetzlichen Vorschriften über das Recht der Behörden, die Rechts-
grültigkeit gehörig verkündeter landesherrlicher Gesetze oder Verordnungen zu prüfen,
kommen hier nieht in Betracht. Siehe mein Staatsr. d. D. Reichs IT. S. 120 fg.