Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

8 21 Die Staatsverträge. II. Die staatsrechtliche Gültigkeit. 167 
  
Abschluss des Vertrages zur Befolgung desselben verpflichtet würden 
und als wenn die Verkündigung des Vertrages keine andere Bedeutung hätte, 
als ihn zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. Die Verkündigung ist auch bei 
Staatsverträgen etwas wesentlich anderes als die Veröffentlichung; der blosse 
Abdruck eines Staatsvertrages in Zeitungen usw. ist ohne alle und jede 
rechtliche Bedeutung. Der rechtliche Inhalt der Verkündigung ist nicht die 
Bekanntmachung des Publikums mit dem Staatsvertrage, sondern der Be- 
fehl des Staates an Behörden und Untertanen, den Vertrag zu beobachten. 
Völkerrechtlich ist der Abschluss des Vertrages der entscheidende 
Vorgang, staatsrechtlich die Verkündigung desselben. Wie bei: der 
Gesetzgebung der staatsrechtlich entscheidende Vorgang — die Sanktion — 
äusserlich verschwindet und von den übrigen Erfordernissen der Gesetzge- 
bung verdeckt und verborgen wird, so wird auch der staatsrechtlich ent- 
scheidende Vorgang bei den Staatsverträgen — der Befehl sie zu befolgen — 
bei der Verkündigung gleichsam verschluckt }). 
II. Die Erfordernisse des staatlichen Befehls, auf welchem die staats- 
rechtliche Gültigkeit der Staatsverträge beruht, bestimmen sich nach seinem 
Inhalt; hiernach ergeben sich folgende Unterscheidungen: 
1. Wenn das Reich in dem Vertrage sich zur Vornahme einzelner Hand- 
lungen verpflichtet hat, zu welchen die Reichsbehörden nach Massgabe der 
bestehenden Gesetze befugt eind, so genügt eine Verfügung (Dienst- 
befehl) an die ressortmässigen Behörden, durch welche ihnen die Vornahme 
1) Während in der früheren Literatur zwischen dem völkerrechtlichen und dem 
staatsrechtlichen Vorgang gewöhnlich nicht unterschieden und dasGanze alseinvölker- 
rechtlicher Akt betrachtet wurde, ist in neuester Zeit Zorn in das entgegenge- 
setzte Extrem verfallen. In der S. 164 Note 1 zit. Abhandlung stellt er die Ansicht auf, 
dass ein Völkerrecht als solches überhaupt nicht existiere, sondern als ‚äusseres Staats- 
recht‘“ aufzufassen sei (S. 8), „dass ein zwischenstaatlicher Vertrag gar keinen juristi- 
schen, auch keinen völkerrechtl. Charakter trage‘ (S. 10 fg.), „dass die Ratifikation bei 
Staatsverträgen genau der nämliche Rechtsakt sei, wie bei Gesetzen die Sanktion“ 
(S. 25) und dass: „dasjenige, was den Vertrag zum Recht macht, die Ratifikation sei. 
Sie sei der Imperativ (!) an die Staatsangehörigen, den Vertrag zu beobachten‘ (8. 36). 
Gegen Zorn haben sich bereits ausführlich ausgesprochen Jellineka. a. O. S. 55 ff. 
J. A. LevyS.99fg SeligmannIIS. 134ff. Mag man über die Konstruktion 
des Völkerrechts denken, wie man will, die Tatsache lässt sich nicht wegleugnen, dass 
Staaten gegen einander vertragsmässig Rechtsverhältnisse begründen und sich wechsel- 
seitig zur Vornahme staatlicher Handlungen verpflichten, und dass die Wirkungen sol- 
cher Akte an und für sich nur nach aussen, gegen die mitkontrahierenden Staaten ein- 
‘treten, nicht nach innen. Schon das nicht seltene Vorkommen geheimer Staatsverträge 
und die unbezweifelte völkerrechtliche Verbindlichkeit derselben zeigt deutlich, dass ein 
ratifizierter Staatsvertrag noch lange kein Gesetz ist. Es ist überhaupt nicht einzusehen, 
wie ein einem andern Staat gegebenes Versprechen ein ‚Imperativ‘ sein soll. 
Auch ist Zorn selbst weit entfernt, seine Theorie konsequent festzuhalten. Denn wenn 
der zwischenstaatliche Vertrag in der Tat gar keinen juristischen, auch keinen völ- 
kerrechtlichen Charakter trägt und die Ratifikation der Imperativ an die Staatsange- 
hörigen ist, so steht damit im Widerspruch, dass er S. 37 die ausdrückliche Erwähnung 
des erfolgten Austausches der Ratifikationsurkunden aus dem Grunde für er- 
forderlich erklärt, ‚da darin die gegenseitige Akzeptation (!) liegt“. Wenn ferner die 
Vereinbarung mit dem fremden Staate etwas rechtlich ganz Unerhebliches ist und Rati- 
fikation und Sanktion identische Begriffe sind, wie rechtfertigt es sich, dass der Kaiser 
die Staatsverträge ratifiziert, während doch das Recht zur Sanktion der Gesetze und der 
Verordnungen nach Zorns eigener Darstellung dem Bundesrat zusteht, und wie ver- 
trägt sich damit das auch von Zorn (S. 13 Note 4) gebilligte Postulat, dass die Rechts- 
sätze über die Erfordernisse und Wirkungen der Staatsverträge mit den Rechtsgrund- 
sätzen über die Gesetzgebung im Einklang stehen miüssen ?
	        
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