& 21 Die Staatsverträge. II. Die staatsrechtliche Gültigkeit. 169
Wegfall kommt, so ist auch das Recht der Amendierung, wenn auch de jure
nicht ausgeschlossen, so doch de facto beschränkt, da der Inhalt und Wort-
laut des Vertrages nicht unter den Organen des Reiches, sondern zwischen den
Bevollmächtigten des Reiches und des auswärtigen Staates vereinbart werden.
Der Reichstag kann jedoch die Genehmigung des Vertrages an die Bedingung
knüpfen, dass derselbe gewisse Abänderungen oder Zusätze enthalte, und die
Zulassung einer solchen Beschlussfassung kann um so weniger bezweifelt
werden, als dem Reichstage regelmässig nicht der definitiv geschlossene Ver-
trag, sondern der Vertrags--Entwurf zur Genehmigung vorgelegt wird.
(Siehe unten S. 175 fg.)
b) Die Sanktion ergeht von dem Bundesrate als demjenigen Organe
des Reiches, dem der eigentliche Gesetzgebungsakt zusteht. Dieser Akt kann
nur vollzogen werden, nachdem der Reichstag die Genehmigung erteilt hat
und der Wortlaut des Vertrages mit den Beschlüssen des Reichstages in Ein-
klang gesetzt worden ist. Der vom Reichstag gefasste Beschluss, welcher die
Genehmigung ausspricht, muss nach Art. 7 Ziff. 1 der RV. dem Bundesrate
nochmals zur Beschlussfassung vorgelegt werden, und dieser zweite Be-
schluss des Bundesrates enthält die Sanktion. So wie bei gewöhnlichen Ge-
setzen dieser Beschluss darauf gerichtet ist, dieselben dem Kaiser zur „Aus-
fertigung‘“ zu unterbreiten, geht er bei Staatsverträgen dahin, dieselben dem
Kaiser zur Ratifikation zu überweisen. Die Genehmigung des Reichstages
ist die Voraussetzung, ohne welche der Bundesrat den Vertrag nicht für staats-
rechtlich verbindlich erklären kann; die Erklärung des Bundesrates ist wie-
der die Voraussetzung, ohne welche der Kaiser nicht dem fremden Staate
das Versprechen geben kann, dass der Vertrag vollzogen werden wird.
Für die Beschlussfassung des Bundesrates gelten ganz dieselben Regeln,
welche für die Sanktion der Gesetze Anwendung finden; insbesondere auch
die im Art. 78 der RV. enthaltenen Rechtsvorschriften, falls die Vollziehung
des Vertrages eine Veränderung der Verfassung in sich schliesst, z. B. die
‚Grenzen des Bundesgebietes verändert, oder in die Sonderrechte einzelner
Bundesstaaten eingreift.
c) Die Ausfertigung. Gemäss der in Preussen ausgebildeten und
vom Norddeutschen Bunde und dem Deutschen Reiche festgehaltenen Praxis
findet eine Ausfertigung des Gesetzes, welches den Untertanen und Behörden
die Beobachtung oder Vollziehung eines Staatsvertrages anbefiehlt, nicht statt.
Wenn man das völkerrechtliche Geschäft und den staatlichen Befehl äusser-
lich so auseinanderhalten würde, wie es die juristische Natur der Sache ver-
langt und wie es in der überwiegenden Mehrzahl aller Staaten tatsächlich
geschieht, so müsste jeder Staatsvertrag zweimal ausgefertigt werden;
einmal für den Staat, mit welchem er abgeschlossen worden ist, zum Zweck der
Ratifikation, und überdies für den eigenen Staat zum Zweck der Gesetzesver-
kündigung. Diese Ausfertigung müsste die Verordnungsklausel, wie sie für
jedes Gesetz erforderlich und üblich ist, enthalten, und zugleich müsste die
"Verfassungsmässigkeit des Gesetzesbefehls formell konstatiert werden durch
die kaiserliche Beurkundung, dass der Bundesrat und der Reichstag die Zu-