Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

170 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $ 21 
  
stimmung erteilt haben. Endlich wäre noch ein drittes Erfordernis begrün- 
det, welches bei gewöhnlichen Gesetzen nicht existiert; da nämlich die Zu- 
stimmung des Bundesrates und Reichstages nur für den Fall und unter der 
Voraussetzung erteilt ist, dass der völkerrechtliche Vertrag wirklich zustande 
kommt und auch der mitkontrahierende Staat sich definitiv verpflichtet, so 
müsste in der staatsrechtlichen Ausfertigung konstatiert werden, dass diese 
Voraussetzung erfüllt, d. h. der. Vertrag durch Auswechslung der Ratifika- 
tionen definitiv geschlossen worden ist. Diese zweite — staatsrechtliche — 
Ausfertigung der Verträge unterbleibt aber nach der im Reich angenommenen 
Praxis gänzlich. Die staatsrechtliche Bedeutung des Staatsvertrages, das 
‚, vertragsgesetz‘‘ (wie es Heilborn nennt), kommt — wenigstens in der Regel 
— zu keinem sachgemässen Ausdruck. 
d) Die Verkündigung. Der Staatsvertrag als Geschäft des Völ- 
kerrechts bedarf weder einer Verkündigung im Rechtssinne noch einer Ver- 
öffentlichung zum Zweck seiner tatsächlichen Bekanntmachung. Geheime 
Verträge haben dieselben völkerrechtlichen Wirkungen wie veröffentlichte. 
Dagegen bedarf das Gesetz, welches die Vollziehung oder Beobachtung 
des Staatsvertrages anordnet, der Verkündigung wie jedes andere Gesetz. 
Da nun aber im Deutschen Reich dieses Gesetz überhaupt nicht formuliert 
und ausgefertigt wird, so kann es auch nicht verkündigt werden; der Ver- 
kündigung wird vielmehr die Vertragsurkunde zugrunde gelegt. Der 
Abdruck derselben im Reichsgesetzblatt erscheint daher äusserlich als eine 
blosse Mitteilung, dass ein Staatsvertrag mit dem angegebenen Wortlaut 
abgeschlossen worden sei, ohne Verordnungsklausel, ohne Erwähnung der 
Genehmigung des Reichstages und des Bundesrates, ja selbst ohne die Unter- 
schrift des Kaisers und ohne die Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Da- 
gegen werden ganz überflüssiger Weise die Namen, Titel und Würden der 
‚Bevollmächtigten, welche den Vertragsentwurf beraten und festgestellt ha- 
ben, im Reichsgesetzblatt verkündigt. Der völkerrechtliche Hauptakt, die 
"Ratifikations-Urkunde, wird nicht verkündigt; es wird nur hinter dem Ab- 
druck des Vertrages die historische Notiz, dass die Ratifikation desselben er- 
folgt ist, ohne jede Unterschrift und Beglaubigung beigefügt. Da diese Art 
‚der Verkündigung den Anordnungen im Art. 1 und Art. 17 der RV. zweifel- 
los nicht entspricht, ein Rechtssatz, aber, dass der blosse Abdruck eines Staats- 
vertrages im Reichsgesetzblatt dieselben staatsrechtlichen Wirkungen habe 
‘wie eine ordnungsmässige Verkündigung, weder in der Reichsverfassung noch 
in einem andern Reichsgesetz anerkannt ist, so lässt sich mit Grund in Zwei- 
fel ziehen, ob die bisherige Art der Verkündigung in denjenigen Fällen, in 
denen der Inhalt des Vertrages in den Bereich der Gesotzgebung eingreift, 
rechtliche Kraft und Wirksamkeit hat !!). 
4. Wenn zur Vollziehung von Staatsverträgen Ausführungsbestimmungen 
1) Die Mängel dieses Verkündigungs-Verfahrens sind von sämtlichen Schriftstel- 
lern, die diese Materie in neuester Zeit behandelt haben, mit alleiniger Ausnahme von 
Dambitsch 8.302 fg., anerkannt und gerügt worden, aber ohne allen Erfolg. Ab-
	        
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