$ 21 Die Staatsverträge. III. Der Abschluss. 173
spruch treten würde, wenn es für die völkerrechtliche Gültigkeit der Verträge
andere Voraussetzungen aufstellen würde als für ihre staatsrechtliche Voll-
ziehbarkeit, ist unrichtig. Die Legitimation zur Vertretung betrifft ein ganz
anderes Rechtsverhältnis, wie die Befugnis, Untertanen und Behörden rechts-
gültige Befehle erteilen zu dürfen. So wie bei den Personen des Privatrechts
die Befugnis zur rechtsverbindlichen Vertretung derselben an ganz andere Be-
dingungen geknüpft sein kann, wie die Befugnis zur Geschäftsführung, Ver-
mögensverwaltung, Statutenveränderung innerhalb der Korporation, so
ist auch bei den Personen des Öffentlichen Rechts und insbesondere bei den
Staaten weder ein begriffliches noch ein tatsächliches Hindernis gegeben, dass
die Legitimation zur Vertretung durch andere Vorschriften geregelt ist,
wie die Befugnis zur Vornahme von Herrschaftsakten innerhalb des
Staatsverbandes.
Dazu fehlt es auch nicht an Motiven; denn die sichere und leichte Er-
kennbarkeit der Legitimation ist auch für den völkerrechtlichen Verkehr ein
Bedürfnis; wie denn unbestrittener Weise in England, in Belgien
und einigen anderen Staaten und nach einer wohlbegründeten Ansicht in
Preussen!) zwischen der formellen Legitimation des Stastsoberhauptes
zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge und den Bedingungen, unter
welchen der Vertrag zur Ausführung gebracht werden kann, unterschieden
wird. Hiernach ist es lediglich eine Frage des positiven Rechts, inwie-
weit nicht nur die Vollziehung, sondern zugleich auch die Legitimation zum
Abschluss von Staatsverträgen beschränkenden Vorschriften unterworfen ist.
b) Wenn nun die Frage mit Beziehung auf die positiven Vorschriften
der Reichsverfassung gestellt wird, so ergibt sich zunächst, dass im Abs. 1
des Art. 11 die Ermächtigung des Kaisers, Rechtsgeschäfte im Namen des
Reiches abzuschliessen, allgemein ausgesprochen wird, Abs. 3 dagegen
_ die Mitwirkung des Bundesrates und Reichstages nur füreine Klasse
von Staatsverträgen erfordert, nämlich ‚insoweit die Verträge mit fremden
Staaten sich auf solche Gegenstände beziehen, welche nach Art. 4 in den Be-
reich der Reichsgesetzgebung gehören“. Hiernach sind zwei Klassen von
Staatsverträgen zu unterscheiden; die einen kann der Kaiser allein abschlies-
sen; zum Abschluss der letzteren bedarf er der Zustimmung des Bundesrats
und der Genehmigung des Reichstags; die ersten bilden die Regel, die anderen
die Ausnahme. Welche Verträge gehören zu dieser zweiten Klasse? Art. 4
der Reichsverfassung grenzt die Kompetenz des Reiches von der der Einzel-
staaten ab; buchstäblich genommen, würde also der Artikel die Zustimmung
von Bundesrat und Reichstag für entbehrlich erklären bei Staatsverträgen,
welche über Gegenstände geschlossen werden, die nicht zur Reichskompe-
1) Allerdings herrscht hinsichtlich des preussischen Rechts in dieser Beziehung
eine Kontroverse, auf welche hier nicht eingegangen werden kann .— In Nord-
amerikaist der Präsident zum Abschluss von Staatsverträgen nur unter Zustimmung
des Senats legitimiert, während dem Repräsentantenhause keine Teilnahme am Ab-
schlusse, sondern nur an der Vollziehung zusteht. Vgl. über das Verhältnis der völker-
rechtlichen Normen über die Legitimation zu den staatsrechtlichen Grundsätzen über
die Zuständigkeit des Staatsoberhaupts Heilborn, System $S. 143 ff.