178 Fünfter Abschnitt: Die Funktionen des Reiches. $ 21
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Staaten Vertreter der an die betreffenden Staaten angrenzenden Bundes-
staaten zur Wahrung der besonderen Landesinteressen zugezogen werden
sollen !). Tatsächlich besteht die Uebung, die Genehmigung des Bundesrats
schon zur Eröffnung der Verhandlungen über alle diejenigen Gegenstände
einzuholen, deren Regelung zur Kompetenz des Bundesrats nach Art. 7 der
Reichs-Verfassung gehört.
3. DiePerfektionderStaatsverträge. Die Minister oder
Gesandten sind zwar beauftragt, die Verhandlungen zu führen und einen Ver-
tragsentwurf zu vereinbaren und definitiv festzustellen, aber sie sind regel-
mässig nicht bevollmächtigt, in Vertretung des Souveräns namens des Staates
ein internationales Rechtsgeschäft abzuschliessen. Der Abschluss erfolgt viel-
mehr durch die Ausstellung einer Urkunde, welche vom Souverän selbst
unterschrieben, mit dem Staatssiegel versehen und von dem Minister kontra-
signiert ist. Man nennt die Auswechselung dieser Urkunden die Ratifi-
zierung oder Ratifikation des Vertrages. Erst durch sie wird der völker-
rechtliche Vertrag im juristischen Sinn abgeschlossen ?); bis dahin existiert
im Rechtssinne der Staatsvertrag überhaupt noch gar nicht, sondern ledig-
lich ein Vertrags-Entwurf. Da nun nach Art. 11 Abs. 1 der RV.derKaiser
zum Abschluss von Staatsverträgen namens des Reiches legitimiert ist, so
wird der Staatsvertrag des Reiches perfekt in dem Momente, in welchem die
von dem deutschen Kaiser unterzeichnete Vertragsurkunde dem Souverän
des anderen Staates, resp. dessen Bevollmächtigten, gegen Empfangnahme
der von ihm unterzeichneten Ausfertigung der Vertragsurkunde übergeben
wird. Dass Staatsverträge des Reiches vom Reichskanzler gegengezeichnet
werden müssen, ist zwar in der RV. nicht ausdrücklich vorgeschrieben, ent-
spricht aber ebensowohl dem völkerrechtlichen Gebrauch als den allgemeinen
Prinzipien des konstitutionellen Staatsrechts.
In minder wichtigen Fällen kann von der Ausfertigung einer kaiserlichen
Ratifikations-Urkunde Abstand genommen und eine einfachere Vertragsform
gewählt werden. Dieselbe besteht entweder in der Unterzeichnung einer g e-
meinschaftlichen Urkunde, eines sogen. Protokolls, durch die Mit-
nister, Gesandten oder anderen Bevollmächtigten der kontrahierenden Stasa-
ten, mit der Massgabe, dass dieselbe eine definitive Vereinbarung sein
soll, oder in der Auswechslung einseitiger Urkunden, welche von einer
Behörde ausgestellt werden ?).
1) Schlussprotok. zum Vertr. mit Bayern v. 23. Nov. 1870 Art. XI (RGBl. 1871
S. 23). Die Ansicht von Prestelea.a. O. S. 33. 34, dass diese Bestimmung durch
die Fassung, welche Art. 52 Abs. 3 der RV. erhalten hat, in Wegfall gekommen sei,
kann nicht für richtig anerkannt werden. Da übrigens nur Bayern und Württemberg
cine eigene Postverwaltung haben, so können nur diese beiden Staaten in die Lage
kommen, ‚besondere Landesinteressen zu wahren“. \
2) Nach einem verbreiteten juristisch inkorrekten Sprachgebrauch, der aber selbst
in die Reichsgesetze sich eingeschlichen hat (vgl. z. B. das zitierte Schlussprotok. v..
23. Nov. 1870), wird aber auch die Unterzeichnung des definitiv festgestellten Vertrags-
entwurfsals „Abschluss“ bezeichnet. Vgl. auch Pröbst $S. 241fg.
3) Gegenstände, für welche diese Form üblich ist, sind z. B. die Anerkennung der
Schiffsvermessungspapiere, die wechselseitige Unterstützung Hilfsbedürftiger, die Zu-