Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band I. Deutsches Reichsstaatsrecht. (1)

$ 23 Die Verfassung des Reichslandes. 193 
  
Reichsangehörige, die in Elsass-Lothringen ihren Wohnsitz haben und min- 
destens 30 Jahre alt sind. 
Endlich werden in Elsass-Lothringen wohnhafte Reichsangehörige vom 
Kaiser auf Vorschlag des Bundesrats ernannt, deren Zahl die der übrigen 
Mitglieder nicht übersteigen darf. Die Mitgliedschaft der gewählten und er- 
nannten Mitglieder dauert fünf Jahre von dem Tage an, an welchem ihnen 
die Wahl oder Ernennung amtlich mitgeteilt worden ist, falls sie nicht früher 
mit dem Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen für die Berufung sowie 
durch die Auflösung der ersten Kammer erlischt. 
Die Zweite Kammer geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit ge- 
heimer Abstimmung hervor, die Wahlperiode beträgt fünf Jahre vom Tage 
der allgemeinen Wahlen an. Die näheren Vorschriften über die Wahl sind 
in einem besonderen Wahlgesetz enthalten, welchem der Charakter eines 
Landesgesetzes beigelegt worden ist, das also im Wege der Landesgesetzgebung 
abgeändert werden kann. Nach dem Wahlgesetz besteht die Zweite Kammer 
aus 60 Abgeordneten, welche in ebenso vielen Wahlkreisen, die auf die 23 Ver- 
waltungskreise verteilt sind, gewählt werden. Voraussetzungen der Wahl- 
berechtigung sind männliches Geschlecht, Reichsangehörigkeit, Zurück- 
legung des 25. Lebensjahres und ein mindestens dreijähriger Wohnsitz in 
Elsass-Lothringen. Jedoch genügt der Wohnsitz von einjähriger Dauer für 
diejenigen Einwohner, die in Elsass-Lothringen ein öffentliches Amt ausüben, 
Religionsdiener oder Lehrer an öffentlichen Schulen sind. Jeder Wahlberech- 
tigte hat eine Stimme; der Vorschlag Pluralitätsstimmen zu schaffen, wurde 
abgelehnt. Wählbar sind die männlichen Einwohner Elsass-Lothringens, 
welche seit mindestens drei Jahren die Reichsangehörigkeit besitzen; oben- 
solange in Elsass-Lothringen ihren Wohnsitz haben, eine direkte Staats- 
steuer entrichten und das 30. Lebensjahr vollendet haben. Im Anschluss an 
das bestehende Gemeindewahlrecht sind von der Wahlberechtigung und der 
Wählbarkeit ausgeschlossen Personen, welche bei Abschluss der Wählerliste 
mit den für die letzten beiden Rechnungsjahre fälligen direkten Staats- 
steuern oder Gemeindeabgaben trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne Stun- 
dung erhalten zu haben, ganz oder zum Teil im Rückstand sind. Wahlge- 
setz $ 2 Abs. 3 Ziff. 3 und $ 4 Abs. 2. 
Hinsichtlich der Tätigkeit des Landtages, seiner Rechte und der Rechte 
seiner Mitglieder gelten diejenigen Regeln, welche auch sonst von den Land- 
tagen und ihren Mitgliedern in Geltung stehen. Die Vorschriften, welche 
das Verfassungsgesetz darüber enthält, entsprechen teils den Artikeln der 
Reichsverfassung und der preussischen Vertassung, teils den bereits im Ge- 
setz vom 4. Juli 1879 enthaltenen Vorschriften. Hervorzuheben sind nur 
folgende Besonderheiten: Ueber Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen 
der Landtagsmitglieder entscheidet nicht die betreffende Kammer, sondern 
der oberste Verwaltungsgerichtshof und bis zu seiner Errichtung ein Senat 
des Oberlandesgerichts. 
Es gibt keine Stichwahlen. Soweit sich bei der Hauptwahl keine abso- 
lute Mehrheit ergibt, findet am 7. Tage nach der Hauptwahl eine Nachwalıl 
Laband, Reichsstaatsrecht. 6. Auf. 13
	        
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