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Sechster Abschnitt: Das Reichsland und die Schutzgebiete. $ 24
statt, bei welcher derjenige gewählt ist, welcher die meisten gültigen Stimmen
erhalten hat (Wahlgesetz $ 10 Abs. 2).
Dem Kaiser steht es zu, beide Kammern, und zwar gleichzeitig, zu beru-
fen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schliessen. Er kann beide Kammern
auflösen; die Auflösung nur einer derselben hat für die andere den Schluss
der Sitzungsperiode zur Folge (Verfassungsgesetz $ 11).
Die Geschäftssprache des Landtags ist deutsch; seine Verhandlungen
sind öffentlich. (Daselbst $ 15.)
Zur Beschlussfähigkeit der Ersten Kammer ist die Anwesenheit von min-
destens 23 Mitgliedern, der Zweiten Kammer die Anwesenheit der Mehrheit
der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder, also 31, erforderlich. (Daselbst $ 18.)
8. Das streitig gewordene Verhältnis der Landesregierung zur Reichs-
regierung hinsichtlich der beiderseitigen Hoheitsrechte über das Eisenbahn-
wesen wurde dahin geordnet, dass das Reich in Elsass-Lothringen das Eisen-
bahnmonopol hat und dass, soweit es selbst Eisenbahnen baut oder betreibt,
die Ausübung der auf den Bau und Betrieb der Eisenbahnen sich beziehen-
den Rechte der Reichsverwaltung zustehen; dass jedoch die Landesbehörden
anzuhören sind, bevor Entscheidungen der Reichsbehörden ergehen, welche
die Verkehrsinteressen des Landes berühren oder in den Geschäftsbereich
der Landespolizei eingreifen. Das Gleiche gilt für die Entscheidungen über
die Zulässigkeit der Enteignung (Gesetz $ 24).
9. Endlich wurde das bereits bestehende Landesrecht in zwei Punkten
mit der Garantie des Reichsrechts ausgestattet und dadurch der Abänderung
durch Landesgesetz entzogen; indem das Gesetz, betreffend die Gleichberech-
tigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung
vom 3. Juli 1869 (Bundesgesetzblatt S. 292) in Elsass-Lothringen eingeführt
wurde ($ 25) und die deutsche Sprache zur amtlichen Geschäftssprache der
Behörden und öffentlichen Körperschaften, sowie zur Unterrichtssprache
in den Schulen des Landes erklärt und die ausnahmsweise Zulassung der
französischen Sprache als Geschäftssprache und Unterrichtssprache geregelt
worden ist ($ 26).
$ 24. Die Landesgesetzgebung. Die Form der Gesetzgebung ist durch
das Gesetz vom 31. Mai 1911 im Vergleich mit den bis dahin in Geltung
gewesenen Regeln !) sehr vereinfacht worden; sie unterscheidet sich nicht
wesentlich von dem jn den Bundesstaaten geltenden Recht.
I. Der Weg der Gesetzgebung. Das Recht, Gesetze vorzu-
schlagen, die sog. Initiative, steht dem Kaiser und jeder der beiden Kammern
zu ($ 16). Die Erfordernisse eines Antrags auf Erlass eines Gesetzes in einer
der beiden Kammern und der Verkehr unter ihnen sind durch die Geschäfts-
ordnungen zu regeln ?). Die Uebereinstimmung des Kaisers und beider
1) Teber die früheren Formen der Gesetzgebung und ihre Wandlungen in den ver-
schiedenen Verfassungsphasen des Reichslandes vgl. die 5. Aufl. dieses Werkes $ 24
und ausführlicher im Staatsr. des D. R. 4. Aufl. Bd. II S. 235 ff.
2) Vgl. Geschäftsordn. der I. Kammer v. 22. Dez. 1911 $ 5 ff. 33; Geschäftsordn.
der 11. Kammer v. 22. Dez. 1911 $ 27 £f., 55.